Das Filmfestival Max Ophüls ist eines der bekanntesten Festivals im deutschsprachigen Raum und nicht nur unter Filmfans beliebt. Ähnlich wie die Solothurner Filmtage leitet es das neue Filmjahr ein, konzentriert sich auf den Nachwuchs und die Filmbranche in Deutschland, Österreich und der Schweiz. arttv Filmjournalist Rolf Breiner gibt einen Rückblick auf die 44. Ausgabe, bei der ihm die Ehre zuteilwurde, Teil der Kritiker-Jury zu sein – ein Blick auf die Gewinnerfilme von ganz nah dran also.
44. Filmfestival Max Ophüls
Eismayer | Synopsis
Vizeleutnant Eismayer ist der gefürchtetste Ausbildner beim österreichischen Bundesheer und führt ein Doppelleben als Vorzeige-Macho in der Öffentlichkeit und als Schwuler im Geheimen. Als ein junger Soldat einrückt, der offen schwul ist, und Eismayer sich in ihn verliebt, stellt er die Welt von Eismayer auf den Kopf. Basierend auf wahren Begebenheiten.
Alaska | Synopsis
Ein Film in vier Kapiteln, ein Film als Reigen, als Film über das Kajakfahren kreisum auf den Mecklenburgischen Seen, wo Kerstin das Vergangene hinter sich lassen will, ihr Bruder Anschluss ans Vergangene finden will und Amina die Zukunft sucht.
Independence | Synopsis
Die afrodeutsche Schauspielerin Helen Wendt begibt sich auf eine Spurensuche entlang ihrer Familiengeschichte, ihrer Identität und ihrer persönlichen Unabhängigkeit zwischen der DDR, Mosambik und Berlin. Während sie durch die Begegnungen mit ihrer Familie mehr über ihre Vergangenheit erfährt.
Festivalrückblick
Von Rolf Breiner
Im Januar steht in Deutschland die saarländische Hauptstadt Saarbrücken im Zeichen des Films, fast parallel zu den Solothurner Filmtagen. Wie sehr die Stadt vom Filmfestival Max Ophüls beseelt ist, zeigte das grosse Publikumsinteresse. Sieben Kinos mit zwölf Sälen standen zur Verfügung. 126 Filme wurden aufgeführt, rund 800 eingereicht. Viele Vorstellungen waren ausverkauft. Max Oppenheimer, 1902 in Saarbrücken geboren, hätte seine helle Freude gehabt. Er, der Namensgeber, arbeitete seit 1920 unter dem Pseudonym Max Ophüls als Theaterschauspieler und Regisseur. Er emigrierte 1933 nach Frankreich, 1941 in die USA. Zu seinen bekanntesten Filmwerken zählen «Der Reigen» (1950) und «Lola Montez» (1955). Die Schlussgala mit zahlreichen Preisverleihungen zeigte nochmals die Begeisterung des einheimischen Publikums fürs Kino. Es wurde gejubelt, geherzt, gedankt und natürlich gefeiert – von der
saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, bis zum Oberbürgermeister Uwe Conradt und rund 1100 Galagästen. Die Treue, Neugierde und Offenheit der Zuschauer hob Festivalleiterin Svenja Böttger hervor und blickte voraus: «Wir hoffen, dass die Filmschaffenden hier in Saarbrücken positive Rückmeldungen, Wertschätzung für ihre harte Arbeit, Erfahrungen und Motivation für neue Projekte empfangen können.» Das Festival, das sich dem Nachwuchsfilm verschrieben hat, war mit 126 Dokumentar- und Spielfilmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr gut bestückt. 14 Jury- und vier Publikumspreise wurden vergeben, dotiert mit insgesamt 118 500 Euro.
Wie man alt wird
Bei dem breit gefächerten Angebot schälten sich folgende Themenschwerpunkte heraus: Konflikte zwischen Eltern und Kindern, Mutter und Tochter, Vater und Sohn – wobei oft der Vater abwesend war; Sozialkonflikte (Rassismus, Vorurteile) sowie gesellschaftliche und familiäre Auseinandersetzungen und Herausforderungen. Ein Schweizer Beispiel: Rudy Vit war ein Arbeitstier, ständig unterwegs vom Berner Oberland nach Asien oder Kanada. Und dann kam der Zeitpunkt der Pensionierung. Wie geht man mit dem Ruhestand um, wie entwickelt sich das Familienleben? Steven Vit hat seinen rastlosen Vater drei Jahre lang von Shanghai über Thun bis Kanada begleitet und dokumentiert, dass es nicht leicht ist, wenn plötzlich «Für immer Sonntag» einkehrt. Dieser sehr persönliche Film erhielt in Saarbrücken den Publikumspreis Dokumentarfilm (5000 Euro). Den Hauptpreis (7500 Euro) erhielt der österreichische Beitrag «Good Life Deal». Die Wienerin Samira Ghahremani begleitete den Frührentner Gerhard, der alle Brücken hinter sich abbricht und auf ein neues Leben mit Amy in Thailand hofft. Doch seine Hoffnung (Investition) geht nicht auf. Eine fatale Fehleinschätzung – unaufgeregt, aber etwas langatmig dokumentiert.
Die Hauptgewinner
Von anderem Kaliber ist die Dokumentation «Independence» des Deutschen Felix Meyer-Christian. Der Essay-Film geht diversen Unabhängigkeitsbewegungen und -begehren nach – von Mosambik über Südsudan bis Grossbritannien (Brexit). Dass dabei auch Katalonien und Bayern zu «Ehren» kommen, wirkt künstlich angefügt. Es ist auch die Geschichte der afrodeutschen Schauspielerin Helen Wendt aus Berlin, die ihren Wurzeln nachgeht, und ein Film über Rassismus, Zugehörigkeit und Identität. «Indem er Unabhängigkeit auf drei Ebenen, der persönlichen, der politischen und der symbolischen auf der Theaterbühne durchspielt, entwickelt der Film einen ungeheuren Sog und wirkt dadurch unangestrengt und unmittelbar», lobte die Kritikerjury und verlieh den Preis für den besten Dokumentarfilm. Ausserdem erhielt er den Preis für beste Musik in einem Dokumentarfilm (5000 Euro). Eine Paddeltour in Mecklenburg-Vorpommern. Kerstin (Christina Grosse) erkundet scheints ziellos Flüsse und Seen. Ihr schliesst sich Alima (Pegah Ferydoni) an. Kerstin wird von ihrem Bruder und dessen Frau und Sohn verfolgt. Ein Erbstreit offensichtlich. «Alaska» ist ein ungewöhnlicher Spielfilm von Max Gleschinski, der mit Alaska wenig, aber viel mit Suche und Findung zu tun hat. Eine Reise mit vielen Wendungen, magischen Momenten und einem etwas harschen, ruppigen Schluss. «Alaska» erhielt den Hauptpreis Bester Spielfilm, dotiert mit 36 000 Euro.
Österreich räumt ab
Der Spielfilm «Eismayer» – der bereits am Zürich Film Festival 2022 aufgeführt wurde – erhielt den Publikumspreis (5000 Euro). David Wagner beschreibt sensibel und schlüssig ein Beziehungsdrama zwischen zwei Männern, dem Vize-Leutnant und Schleifer Eismayer sowie dem Rekruten mit bosnischen Wurzeln, Mario Falak. Die Filmkritikerjury würdigte «Eismayer» als besten Spielfilm: «Die Liebe zwischen diesen beiden Männern hat es im österreichischen Bundesheer tatsächlich gegeben. Es ist nicht immer eine Erfolgsgarantie, auf eine wahre Begebenheit zurückzugreifen. Hier ist es wunderbar nachvollziehbar und filmisch präzise umgesetzt worden.» Regisseur Wagner und die Schauspieler Gerhard Liebmann (Ausbilder) und Luka Dimić (Rekrut) freuten sich riesig und fielen sich um den Hals. Der Preis der saarländischen Ministerpräsidentin «Beste Regie» ging an Lukas Nathrath und seinen Film «Letzter Abend». Ein entlarvendes Kammerspiel, wo sich Partner, Freunde und unangemeldete Gäste fetzen. Die Low-Budget-Produktion (für 4000 Euro) konnte nun 11 000 Euro einheimsen. Respekt für dieses wilde Konflikt-Chaos. Mit dem diesjährigen Fritz-Raff-Drehbuchpreis (13 000 Euro) wurde das österreichische Beziehungsdrama «Breaking the Ice» von Clara Stern ausgezeichnet. Hier fetzen sich Eishockeyspielerinnen der Liebe wegen. Eisnah und emotional. Das überzeugte auch die Jugendjury, sie zeichnete den packenden Film ebenfalls aus (2500 Euro), hinzu kam der Preis für den gesellschaftlich relevanten Film (5000 Euro).
Der Film lebt!
Die Schweizer Beiträge «Reduit» von Leon Schwitter, «Semret» von Caterina Mona und «Becoming Giulia» von Laura Kaehr kamen nicht in die Preisränge. Gleichwohl war Saarbrücken ein gutes Pflaster für den deutschsprachigen Film. Manche Filmschaffenden fanden Bestätigung, Belobigungen, stets Aufmerksamkeit und Zuneigung. Am Ende feierte eine grosse Familie von Filmschaffenden und Filmbegeisterten die Befreiung von Pandemiezwängen und ein vielseitiges Programm, das sich sehen lassen konnte. Vor allem wirkten Interesse und Publikumsbegeisterung ansteckend. Der Film lebt – zumindest an Festivals!