Leysa landet nach einem Eifersuchtsdrama im Knast. Schwanger tritt sie die Haftstrafe an, bringt den Sohn im Frauengefängnis von Odessa zur Welt, in dem Mütter und Kinder bis zum 3. Lebensjahr zusammen sein können. Leysa lebt in einer Welt, die nur von Frauen bevölkert ist. Wäre da nicht die Farbe der Uniform, wäre es schwer zu sagen, wer Gefangene, wer Wächterin ist. Klar ist allerdings: Humor spielt in diesem Frauenknast eine wichtige Rolle.
107 Mothers
107 Mothers | Synopsis
Die schwangere Leysa wurde für den Mord an ihrem Ehemann verurteilt. Sie wird ihr Kind also im Gefängnis zur Welt bringen und darf es drei Jahre lang bei sich behalten. Im Knast trifft sie auf Iryna. Sie ist die Aufseherin in dieser besonderen Abteilung der Strafvollzugsanstalt, in der werdende und junge Mütter inhaftiert sind. Zwei Schicksale kreuzen sich in dieser Fiktion, die eigentlich keine ist.
107 Mothers | Rezension
von Doris Senn
Der Film von Péter Kerekes beginnt surreal: Schwangere junge Frauen, die vor einer Bergkulissen-Tapete auf die Waage steigen, während ihr Befinden minutiös protokolliert wird. Szenenwechsel: Der Kopf eines Babys drängt sich blutig durch die Scheide, in Anwesenheit einer Frau in Uniform, die – etwas peinlich berührt – der Geburt zuschaut. Schnitt. Die junge Mutter hält mit schwermütigem Blick ihr Kleines, dick eingehüllt, im Arm, während ein ratternder Camion sie durch eine Stadt am Meer fährt, um schliesslich in ein stacheldrahtbewertes Tor einzubiegen: «107 Mothers» spielt im Frauengefängnis 74 in Odessa und gibt Einblick in den Alltag inhaftierter junger Mütter und ihrer Wärterin Irina.
Schicksale hinter Gittern
In lakonischen Szenen und tableauhaften Einstellungen macht uns der slowakische Regisseur mit den Frauen vertraut. Kerekes zeichnete bislang ausschliesslich Dokfilme und verknüpft hier erstmals die Realität mit fein gesponnener Fiktion. Ausser der Hauptfigur Lesya (Marina Klimova) sind alle Laiinnen – mit Gesichtern und Körpern, die das Leben gezeichnet hat, erzählen sie teils ihre eigenen Geschichten. Ein paar von ihnen haben den Ehemann ermordet oder dessen Geliebte. Aus Eifersucht, wie sie auf Nachfrage präzisieren. Sie bereuen – oder auch nicht. Ihre Mimik gibt wenig preis. Ab der Geburt können sie das Kind drei Jahre bei sich behalten. Dann heisst es: Entweder wird einer Begnadigung stattgegeben und sie kommen mit dem Kind frei oder sie müssen es in andere Hände geben – meist ins Waisenhaus. So will es das Gesetz.
Eigenwillige Wärterin Irina
Geplant war ursprünglich ein Film über das Wesen der Zensur, meint Péter Kerekes in einem Gespräch über sein rund fünfjähriges Projekt. Bis er auf das ukrainische Frauengefängnis stiess und auf die Wärterin Irina – eine eigenwillig-sympathische Figur, die ihm als Angelpunkt der Geschichte(n) diente. Irina repräsentiert den Apparat und ist die Instanz, die im täglichen Umgang mit den Gefangenen mal ihre institutionelle, mal ihre mütterliche Seite nach aussen kehrt. Die Kamera begleitet Irina, zeigt, wie sie Anteil nimmt, aber auch die Post der Gefangenen zensiert und die Gespräche bei ihren Besuchen mithört. Die Montage spielt mit den Blicken von Gefangenen und Wärterin. Die teils bizarre Gegenüberstellung der Lebenswelten – etwa wenn Irinas Mutter zu Besuch ist in ihrem kuscheligen kleinen Zimmer und sie dazu drängt, doch endlich zu heiraten und ihr Enkel zu schenken – gibt der tristen Realität des Gefängnisses etwas Schilllerndes und Lichtes, dem Film etwas Humorvoll-Melancholisches.
Fazit: Mit «107 Mothers» verbindet Peter Kerekes meisterhaft Authentisches mit Inszeniertem. Sein Film, der die Slowakei an den Oscars vertritt, nähert sich respektvoll den Lebensrealitäten der inhaftierten Frauen an und zeichnet ein einfühlsames Porträt vom Gefängnisalltag.
107 Mothers | Weitere Stimmen
«Durchzogen mit schrägem, geradezu absurdem Humor.» – Variety | «Leysas Liebe und Fürsorge stemmt sich gegen das triste Gemäuer, die brutalen Routinen im Gefängnis und die tiefen Narben der Vergangenheit. Dazu mischt Kerekes die Geschichte der Aufseherin Irina, die sich ganz ihrer Arbeit verschrieben hat, und lässt verschiedene Insassinnen in intimen Gesprächen über ihre Verbrechen und die Mutterschaft sinnieren.» – Der Falter | «Peter Kerekes verbindet dokumentarische und erzählerische Filmtechniken, um diese leise Geschichte über ein Frauengefängnis in der Ukraine zu erzählen.» – Hollywood Reporter