In seiner 32. Ausgabe bietet das FIT – Festival Internazionale del Teatro e della scena contemporanea in den verschiedenen Theatersälen von Lugano Vorstellungen mit Künstler:innen aus sechs Ländern: Frankreich, Israel, Italien, Holland, Spanien und der Schweiz. Nationale und internationale Grössen der Tanz- und Theaterszene stellen ihre neuen Bühnenstücke und hybriden Theaterprojekte vor. Am 6. Oktober 2023 wird im Rahmen des Festivals der Schweizer Preis Darstellende Künste 2023 verliehen.
Das Tessiner Festival hinterfragt das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Bühne
10 Tage, 19 Aufführungen, 7 Begegnungen mit Künstler:innen, 1 Dramaturgiesalon und vieles mehr …
Drei Highlight aus dem Programm
«Alcune cose da mettere in ordine» von Rubidori Manshaft
Nach einer langen Vorbereitungszeit, in der sie in Altenpflegeheimen gearbeitet hat, bringt Rubidori Manshaft ihre Erfahrungen auf dieser langen ‹Feldforschung› in einer neuen Arbeit zusammen. Sie greift frühere künstlerische Ansätze wieder auf und verwebt sie mit ihrer künstlerische Forschung zusammen, in der eine Reflexion über den Übergang mit Erinnerung, Abwesenheit und Einsamkeit stattfindet. Von hier aus beginnt sie, den Körper und seine politische Bedeutung zu hinterfragen. Thema wie Pflege, Zeit, Angst und Machen werden verhandelt. Es geht um den Verlust des Selbst und der Kraft. «Alcune cose da mettere in ordine» ist die Geschichte einer Frau jenseits der Sechzig, die beginnt, Fragen über den Lebensweg zu stellen, ein Echo von uns allen. Wir erkennen uns in ihren Worten wieder, in ihren Gedanken, die vielleicht auch die unseren sind. Gedanken, die wie tatsächliche Ereignisse zu Co-Protagonisten in dieser Geschichte über das Leben, über Träume und Enttäuschungen, über Erinnerungen und Reue werden.
Rubidori Manshaft, Schweiz
7. und 8. Oktober 2023
«Patriarcat. Vivre en confinement éternel» von Winter Family
Wie spricht man über das Patriarchat? Das ist nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine formale Frage: Welche Möglichkeiten gibt es, das Problem anzugehen, indem man sich von seinen grundlegenden Mechanismen löst, wie etwa universellen Wahrheiten, die von einem überhängenden, wertenden und somit in jeder Hinsicht «patriarchalen» Blick dominiert werden? Es geht hier nicht darum, die grosse Geschichte des Patriarchats neu zu schreiben, sondern sie zu sprengen, indem man zunächst in die etwas beschämenden, unklaren, paradoxen Gegebenheiten eintaucht, die das Konstrukt unseres kollektiven Alltagslebens ausmachen.
Winter Family, Israel und Frankreich
3. Oktober 2023
«Mujer en cinta de correr sobre fondo negro» von Alessandra García
«Mujer en cinta de correr sobre fondo negro», ist eine Aufführung, aber vor allem eine genaue Beobachtung von benachteiligten Stadtvierteln, die es in jeder Stadt gibt. Auf der Bühne findet das ganze Leben der Strasse statt: ihr Rhythmus, ihr Mischmasch, tausend und ein Zauber sowie die Widersprüche, die weniger sichtbaren Details, die Gesichter, die Blicke, die Hände, die Gerüche, die Stimmen, die Landschaften, der tägliche Kampf, der Graben, der sich zwischen Bars, Supermärkten, doppelt geparkten Autos und Wohnhäusern mit Markisen und ohne Aufzug öffnet. Eine hinreissende Performance, in der sich García bis in die Wimpernspitzen aufgeregt inszeniert, eine Figur, der alles wissen, sehen und abtasten will, bis hin zum letzten Fragment der Menschlichkeit.
Alessandra García, Spanien
29. September 2023