Der Projektchor choR inteR kultuR bringt Menschen über kulturelle und sprachliche Unterschiede hinweg zusammen. Seit über drei Jahrzehnten entstehen dabei ungewöhnliche Begegnungen, überraschende Reisen und bewegende Klangräume zwischen Tradition und Gegenwart. Im Interview erzählt der künstlerische Leiter Fortunat Frölich, wie alles begann – und warum interkulturelle Chorarbeit mehr ist als ein musikalisches Experiment.
Fünf Fragen an Fortunat Frölich
- Publiziert am 25. Juli 2025
Der bekannte Schweizer Komponist und Dirigent Fortunat Frölich studierte Violoncello, Gesang und Orchesterleitung an den Musikhochschulen in Zürich, Neapel und Leipzig. Er war Solocellist des Bündner Kammerorchesters und Mitglied der Basler Madrigalisten und des Schweizer Kammerchors. Als Dirigent arbeitete Fortunat Frölich u.a. mit dem Sinfonieorchester Basel, den Hamburger Symphonikern und dem Zürcher Kammerorchester zusammen. Frölichs interkulturelle Projekte wurden an namhafte Festivals eingeladen, wie das MAWAZINE Festival in Marokko, das Zürcher Theater Spektakel oder das Festival Mundial de Coros in Mexiko.
Wie ist der «choR inteR kultuR» entstanden, und welche Idee steckt dahinter?
1991 rief der Schweizer Musikrat Kulturschaffende dazu auf, Projekte gegen Fremdenangst zu entwickeln – als Reaktion auf gewalttätige Ausschreitungen gegen Asylbewerber. Ich entwarf daraufhin ein Projekt für einheimische und «fremde» Musiker:innen und Ensembles, das in zahlreichen Städten und Dörfern der Schweiz und Deutschlands durchgeführt wurde – stets mit Mitwirkenden aus dem jeweiligen Aufführungsort. Dabei entdeckte ich das kreative Potenzial von Konflikten und die zentrale Bedeutung des Dialogs – beides echte Herausforderungen, die sich in interkulturellen Chorprojekten eindrücklich erleben und vermitteln lassen.
*Welche Reisen oder Auftritte mit dem Projekt sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Gab es dabei überraschende Begegnungen?
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Unsere Reisen sind stets Abenteuer voller Überraschungen – angenehme und herausfordernde. In den Begegnungen zeigt sich das Paradoxon, dass wir Menschen uns zugleich vertraut und fremd sind, unabhängig von Herkunft oder kultureller Prägung. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie ähnlich sich die Inhalte der Lieder sind – und wie unterschiedlich ihre Ausdrucksformen.
Wer kann beim «choR inteR kultuR» mitsingen, und wie ist der Chor organisatorisch aufgebaut?
Jedes Projekt von «choR inteR kultuR» wird öffentlich ausgeschrieben. Die Teilnahme steht grundsätzlich allen offen, wobei das Anforderungsprofil je nach Projekt variieren kann. In einer Informationsprobe können Interessierte herausfinden, ob sie sich eine Teilnahme zutrauen. Im Zweifelsfall entscheidet der Dirigent. Wir proben dezentral und nicht regelmässig, sondern in ganztägigen Proben – etwa zwei Mal pro Monat.
Finanziert werden unsere Projekte durch Beiträge der Teilnehmenden sowie durch Fundraising. Der Verein verfügt zudem über einen Solidaritätsfonds, sodass niemand aus finanziellen Gründen ausgeschlossen werden muss. Für Jugendliche bis zum 25. Lebensjahr ist die Teilnahme kostenlos.
Welche persönliche Bedeutung hat die Leitung des «choR inteR kultuR» für Sie, und wie prägt Ihre Arbeit die Entwicklung des Projekts?
Als künstlerischer Leiter ist es mir wichtig, dass unsere Projekte einen Bezug zur Gegenwart und zu aktuellen Themen haben. Sie sollen gesellschaftlich relevant sein – sowohl für uns als auch für das Gastland. Unsere Konzertprogramme enthalten fast immer auch zeitgenössische Werke. Mitunter beginnt der interkulturelle Austausch bereits auf kompositorischer Ebene – etwa, wenn ich ein Chorwerk entwickle, in dem sich das arabische Tonsystem mit europäischer Polyphonie verbindet.
Was wünschen Sie sich für die musikalische und gemeinschaftliche Zukunft des «choR inteR kultuR»?
Ich wünsche mir, dass viele Menschen entdecken, wie bereichernd es ist, andere Kulturen intensiv kennenzulernen. Manchmal beschämt es mich, wie wenig wir Europäer über andere Kulturen wissen. Das zeigt sich schon daran, dass wir fast ausschliesslich europäische Fremdsprachen lernen.
Die Projekte von «choR inteR kultuR» geben auch dem Reisen einen tieferen Sinn. Wenn du in ein fremdes Land reist, dort mit den Menschen ihre Lieder singst – und sie einlädst, deine zu singen –, dann bist du wirklich angekommen. Solche Reisen vergisst man nicht.