Dampfzentrale Bern | Saint Ghetto 2020
- Publiziert am 6. Oktober 2020
Wie man ein Musikfestival auf die Beine stellt ohne Interkontinental-Flüge.
2020 ein Festival auf die Beine zu stellen, ist ein sehr aussergewöhnliches Unterfangen. Sowohl die grossen als auch die meisten der kleineren Festivals wurden abgesagt und um ein Jahr in die Zukunft verlegt. Für die Dampfzentrale war es nie eine Frage, ob Saint Ghetto in diesem Jahr mit ausschliesslich nationalen Acts durchgeführt werden soll. Das Festivals ist international und setzt sich dafür ein, aussergewöhnliches Musikschaffen aus verschiedenen Ländern und Genres nach Bern zu bringen.
Der Eröffnungsabend ist eine Kooperation mit dem zoom-in Festival und findet als einziger Abend nicht in der Dampfzentrale, sondern in der Grossen Halle der Reitschule Bern statt. Der Komponist Phill Niblock präsentiert seine raumfüllenden musikalischen Skulpturen zusammen mit einer Reihe von Gastinstrumentalist*innen aus dem In- und Ausland.
Die multinationale Band Vanishing Twin um Sängerin und Frontfrau Cathy Lucas gibt ihr retro-futuristisches Pop Universum zum Besten. Pan Daijing fordert mit ihren brachialen elektronischen Klängen und ihrer performativen Bühnenumsetzung nun erstmals auch ein Berner Publikum heraus. Der hierzulande noch völlig unbekannte Bendik Giske spielt mit seinem Saxofon und der Fähigkeit, sowohl mehrere Töne gleichzeitig zu erzeugen als auch durch Zirkularatmung den Ton nie unterbrechen zu müssen, eine Art Minimal Music im Geiste von Philip Glass, Steve Reich oder Terry Riley, jedoch mit einer erstaunlichen Nähe zur Clubmusik. Aïsha Devi, Genferin mit tibetischen Wurzeln, ist der perfekte Abschluss für einen Saint Ghetto-Abend, verbindet sie doch kunstvoll-provokative Visuals, eine starke Bühnenpräsenz und zuweilen treibende elektronische Klänge und Rhythmen zu einem grandiosen, digitalen Live-Kunstwerk.
Die Band Messer gehört zum absolut Besten, was an deutschsprachiger Musik in den letzten Jahren entstanden ist. Auf ihrem neuesten Album haben sie ihren Post Punk noch um die Komponente Dub erweitert, was sie nun definitiv zu einem unverkennbaren Sound geführt hat. Die kolumbianische Musikerin Lucrecia Dalt arbeitete früher als Ingenieurin der Geotechnik, und auch in der Musik sucht sie nicht die einfachen und widerstandslosen Wege. Trotzdem ist ihre elektronische Musik von einer angenehmen Wärme und Melancholie geprägt. Karl O’Connor gilt mit seinem Pseudonym Regis als einer der massgebendsten Produzenten der britischen Techno-Szene. Seine Musik ist aber nie nur dancefloorfreundlich, legt stattdessen ihre Wurzeln in der Industrial Music offen. Mit Omni Selassi ist seit vielen Jahren mal wieder eine Berner Band im Saint Ghetto-Programm zu finden. Grund dafür ist, dass das Trio um Rea Dubach (Associated Artist der Dampfzentrale Bern) etwas vom Interessantesten ist, was Bern in den letzten Jahren musikalisch hervorgebracht hat.