Die von Liesbeth Decan kuratierte Ausstellung ist die erste grosse Retrospektive, die der polnisch-belgischen Künstlerin Tapta (1926-1997) ausserhalb Belgiens gewidmet ist, dem Land, in das sie 1945 floh und in dem sie ab den 1960er Jahren ihre künstlerische Karriere entwickelte. Die Ausstellung macht spürbar was der Künstlerin wichtig war: Flexibilität, Freiheit und Frieden.
Textilkunst und Skulpturen aus Neopren
Nach Belgien geflohen
Der Titel der Ausstellung, Flexible Forms, verweist auf das zentrale Konzept ihres Werks: die Schaffung von Skulpturen, die durch ihre flexiblen Formen mit dem Ausstellungsraum und den Betrachter:innen interagieren. Der Ehrgeiz der Ausstellung spiegelt den Gründungsauftrag des Muzeum Susch, das Werk internationaler Avantgarde-Künstlerinnen zu fördern, die übersehen oder falsch verstanden wurden und daher in Kunstinstitutionen auf der ganzen Welt nicht in gleichem Masse wie ihre männlichen Kollegen gewürdigt wurden. Die gilt in hohem Masse für Tapta, das Pseudonym von Maria Wierusz-Kowalska, die 1926 in Polen geboren wurde. Sie kam als politischer Flüchtling mit ihrem Mann Krzysztof nach Belgien, nachdem sie am Warschauer Aufstand 1944 teilgenommen hatte. An der Nationalen Hochschule für Bildende Künste La Cambre in Brüssel, studierte sie Weberei, wo sie 1949 ihren Abschluss machte. Kurz darauf zog das Paar in den Belgisch-Kongo (heute Demokratische Republik Kongo). Hier lebten die beiden von 1950 bis 1960. Nach ihrer Rückkehr nach Belgien 1960 arbeitete Tapta bis zu ihrem plötzlichen Tod 1997 in Brüssel als Künstlerin und als Professorin in La Cambre. Von 1976 bis 1990 leitete sie dort die Textilwerkstatt, die sie in «Flexible Sculpture» umbenannte.
Rekonstruktion von Taptas Forms for a Flexible Space
Die in lockerer chronologischer Folge angeordnete Ausstellung gibt einen Überblick über Taptas Werk, das im Wesentlichen in zwei «Perioden» unterteilt ist: die in den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre entstandenen Textilarbeiten und die Neoprenarbeiten der 1980er bis 1990er Jahre. Die Ausstellung lenkt das Augenmerk zunächst auf Taptas Textilarbeiten, in denen sie sich durch experimentelle Techniken wie das Verdrehen ihrer gewebten Stücke und insbesondere durch die Verwendung von Seilen, die sie knotete und zu organischen Raumkörpern zusammenfügte, immer weiter von der traditionellen Weberei entfernte. Ihre Arbeiten ragten aus der Wand heraus, wurden dreidimensionaler und interagierten zunehmend mit dem Raum und den Betrachter:innen, die eingeladen waren, die Werke nicht nur visuell, sondern auch taktil und physisch zu erleben, indem sie um sie herumliefen und sogar in sie eintraten. Neben etwa zwanzig textilen Originalarbeiten ist in der Ausstellung erstmals die Rekonstruktion von Taptas Forms for a Flexible Space (1974) zu sehen. Diese imposante Installation aus Schnüren, in die die Besucher:innen eintreten und Platz nehmen können, ist ‒ soweit bekannt ‒ das einzige noch existierende Environment, von dem Tapta in den frühen 1970er Jahren mehrere schuf.
Werkstoff Neopren
Taptas Aktivierung der Betrachter:innen, die in den textilen Skulpturen zum Ausdruck kommt, manifestiert sich auch in den schwarzen Neoprenarbeiten, die sie Ende der 1980er Jahre anzufertigen begann und die ‒ nach einer Zwischenphase, in der sie mit Gummi experimentierte und Seile über die Gewölbe der Ausstellungsräume spannte ‒ eine radikale Wende in ihrem Umgang mit dem Material markierten. Die handgefertigten Seilskulpturen wichen nun Skulpturen und Installationen aus dem industriell gefertigten Material Neopren ‒ eine Weiterentwicklung ihrer Idee der flexiblen Skulptur. Grosse schwarze Flächen, die durch Metallstangen und -bolzen verbunden sind, bilden offene Strukturen. Einige davon sind durch Scharniere verbunden, so dass ihre Form verändert werden kann ‒ je nach Grösse des Raums oder dem Willen der Besucher:innen.
(Textgrundlage: Muzeum Susch)