Die Gruppenausstellung «The Humans» erforscht, wie Kunstschaffende ihre unabhängige Sicht auf die Welt formulieren und wie sie in Wirklichkeiten eintauchen, die traditionellen und neuen Medien verwehrt bleiben. Dabei gab es «Fake News» in der Kunst schon vor 200 Jahren, wie das Gemälde «Das Floss der Medusa» von Théodore Géricault (1791–1824) zeigt.
Kunstmuseum St.Gallen | The Humans
«Fake News» und «Alternative Wahrheiten» haben die Art verändert, wie wir die Welt sehen und Nachrichten interpretieren.
«Fake News» und «Alternative Wahrheiten»
Nie zuvor haben sich falsche Informationen den wahren so sehr angenähert und unsere Wahrnehmung der Welt derart verändert. Flüchtlingskrise, Asylpolitik, ökologische Desaster, Handelskrieg … Jeden Tag erreichen uns Nachrichten und Bilder zu menschlichen, sozialen und politischen Katastrophen – verschiedentlich gefiltert durch neue schnelle Formen der Kommunikation und die klassischen Medien. Der Blick der Kunstschaffenden auf die aktuellen Ereignisse in der Welt eröffnet einen anderen, einen hintergründigen Blick auf das Weltgeschehen. Die Gruppenausstellung «The Humans» erforscht, wie Künstler*innen ihre unabhängige Sicht auf die Welt formulieren und wie sie in Wirklichkeiten eintauchen, die traditionellen und neuen Medien verwehrt bleiben. Die eingeladenen Künstler*innen beleuchten dabei neben der Rolle unseres digitalen Medienkonsums auch Fragen nach unserem Umgang mit Menschen am Rande der Gesellschaft und unsere Haltung zu den weltweiten Migrationsbewegungen.
«Das Floss der Medusa»
Ein Beispiel für eine künstlerische Interpretation des Zeitgeschehens lieferte bereits ein aufsehenerregendes Bild des 19. Jahrhunderts: Vor genau 200 Jahren entstand das berühmte Gemälde von Théodore Géricault (1791–1824) «Das Floss der Medusa» («Le Radeau de la Méduse», 491 × 716 cm, Louvre, Paris). Dieses bildgewaltige Meisterwerk beruht auf einer Sensationsmeldung. 1816 begleitete die Fregatte Méduse unter dem unerfahrenen Kapitän Hugues Duroy de Chaumareys einen Konvoi nach Senegal, der Infanteristen zum Schutz des überseeischen Besitzes sowie Verwaltungsbeamte und Forscher in das ferne Land bringen sollte. An Bord waren annähernd 400 Personen, darunter auch der neue Gouverneur des Senegal, der Royalist Julien-Desiré Schmaltz. Das Schiff lief auf Grund und war nicht mehr frei zu bekommen, so dass der Kapitän den Bau eines Flosses aus Masten und Rahen der Medusa befahl, da lediglich sechs Rettungsboote vorhanden waren. Die Boote sollten das Floss mit 150 Männern an Land ziehen. Nach kurzer Zeit kappte man aber die Seile und überliess die Menschen auf dem Floss ihrem Schicksal. Das Floss war völlig überfüllt und es herrschten bald katastrophale Verhältnisse. Es kam zum Extremfall von Kannibalismus. Nach 13 Tagen konnten schliesslich vom Schiff Argus nur noch 15 Personen gerettet werden. Géricault befragte die Überlebenden damals selbst zu ihren Erlebnissen, da er seine Informationen für das zeitgenössische Historienbild aus erster Hand erhalten wollte. Die Nachricht traf die öffentliche Meinung so heftig, dass sie selbst die damalige Regierung erschütterte. Seit diesem Moment hat die Kunst stets eine wichtige Beziehung zur Medienkommunikation unterhalten. Zu einem Zeitpunkt, in dem sich Nachrichtenkanäle multiplizieren, ihre einflussreiche Position aber zusehends verlieren, übernehmen Künstler*innen wiederum die Rolle von Zeitzeugen in einem sich stetig verändernden medialen Prozess.
Neue Form von Realismus
«The Humans» fokussiert auf das Medium des Bildes und des Videos, das vermehrt Einfluss auf die heutige Gesellschaft ausübt. Die Kunstschaffenden generieren eine neue Form von Realismus, indem sie sich Situationen annähern, die von den Medien unbeachtet bleiben würden. Géricault als Vertreter der französischen Romantik nutzte das Thema, um den neuen Typus eines zeitgenössischen Historienbildes zu schaffen: ein «Ereignisbild». Diese grundsätzliche Beziehung spielt eine zentrale Rolle in der Ausstellung.
Teilnehmende Künstler*innen: Francesco Arena, Ed Atkins – Simon Thompson, Rossella Biscotti, Candice Breitz, Daniela Ortiz, Artur Zmijewski.