Das Kunsthaus Bregenz setzt auf die Gegenwart. Und doch ist die Betrachtung der Geschichte notwendig, um die Gegenwart und die Zukunft zu verstehen. Im Besonderen, wenn die Matrix der Gegenwart, das Internet, seine Herkunft verbirgt. So steht das kommende Ausstellungsjahr im Zeichen der Kunst im Zeitalter des Internets und konzentriert sich auf Gesichter.
Kunsthaus Bregenz | Vorschau 2019
- Publiziert am 9. November 2018
Kunst trotz Netz
Was ist das Internet? Es hat keine Form, keine Farbe, kein Gesicht. Wir suchen darin Begriffe, Namen und vielleicht auch uns. Einigen erscheint es wie eine magische Schachtel, aus der jede Information jederzeit auf Wunsch herausspringt. Andere sehen das Internet als Fenster in eine zweite Welt hinter der sichtbaren oder als Projektionsfläche unserer Bedürfnisse und Wünsche. Seit den 1990er Jahren ist das Internet Allgemeingut. Erfunden als militärisches Nachrichtenportal verschleiert es seinen technischen Ursprung ebenso wie seine Organisation und Distribution von Nachrichten. Jede Aktion beruht auf einem technisch normierten Protokoll. Das bedeutet, dass das, was wir suchen, uns immer schon gefunden hat. Name, Adresse und Weg werden mit jeder Transaktion verzeichnet.
Das Gegenteil ist gemeint
Die Kunst der jüngsten Jahre nennt sich Post-Internet Art. Der Begriff macht glauben, das Internet gehöre der Vergangenheit an. Das Gegenteil ist gemeint. Es sind Künstler*innen angesprochen, die sich mit der digitalen Verflüssigung beschäftigen, vor allem mit den Fragen nach der Existenz und des Menschseins im Zeitalter des Internets. Wer sind wir, die in Schachteln, Fenster und Spiegel schauen und dabei übersehen, dass jeder Blick eine Datenspur hinterlässt? Und ungeachtet der Fragen der Kommunikation und Information — wie steht es mit Sein, Zeit und Tod in der Gegenwart? Ist die Vergänglichkeit in der Allgegenwart der Datentransfers nicht fragwürdig geworden? Ist das Internet eine globale Totenmaske der Gegenwart?
Vier grosse Einzelausstellungen
Die vier monografischen Ausstellungen im Kunsthaus Bregenz im Jahr 2019 zeigen keineswegs nur Kunst der PostInternet Art. Das wichtigste Auswahlkriterium der Macher*innen war die Frage nach dem Gesicht. Das Gesicht ist das Bild im Spiegel, der Inbegriff jedes SelfieSujets. Das Gesicht ist aber auch die Physiognomie, die Vorbild für Avatare ist. In den Datenbanken ist das Gesicht die Folie maschineller Erkennung. Nach veraltetem deutschsprachigen Verständnis — Oskar Kokoschka hielt schon 1912 einen Vortrag über das innere Gesicht, das innere Schauen — bedeutet «Gesicht» die Fähigkeit zu sehen. Dieses Sehen meint mehr als nur die bloße Sinneserfahrung, es ist das Sehen des Sehers. Es ist das Sehen jener, die tiefer und weiter blicken. Deshalb finden sich mit Ed Atkins, Miriam Cahn, Thomas Schütte und Zoe Leonard im Jahresprogramm 2019 nicht nur sehr prominente Namen der Kunst, sondern auch Positionen, die die Frage nach der Existenz, dem Ich und dem Selbst im Zeitalter vor dem Internet stellen. Diese Gegenüberstellung ermöglicht es, den Blick in die Gegenwart zu richten und das Unbeachtete infrage zu stellen.
Zoe Leonard
Die in New York lebende Künstlerin Zoe Leonard erreicht in ihren Arbeiten ein Gleichgewicht aus präziser Konzeptkunst und einer deutlich persönlichen Sichtweise, das Fotografie, Plastik und Installation miteinander verbindet. Die Strategien ihrer künstlerischen Praxis setzen auf Wiederholung, Perspektivwechsel und eine Vielzahl von Druckverfahren, mit der sie die Darstellungs und Ausstellungspolitik untersucht.
Den Fluss im Blick
Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, eine Kooperation mit dem Mudam – Musée d’Art Moderne GrandDuc Jean, Luxemburg, zeigt erstmals Leonards jüngste Werkgruppe. Seit drei Jahren dokumentiert Leonard den Abschnitt des Stroms Rio Grande, der die Grenze zwischen den USA und Mexiko bildet. Über das Projekt schrieb sie: «Historisch betrachtet, ist der Rio Grande von großer Bedeutung für die Fantasie der Menschen. Er steht symbolisch wie ikonografisch für den amerikanischen Südwesten. Gegenwärtig steht er im Zentrum der andauernden politischen Debatten um Grenzen, Immigration, nationale Sicherheit, Arbeit, Wirtschaft, Klimawandel, Energieversorgung, Ressourcen, Drogenhandel, Artenschutz und Wasserentnahmerechte. Ich nehme den Fluss näher unter die Lupe, um die vielfältigen und vielschichtigen Zwänge in den Blick zu bekommen, unter denen diese dünne Linie fließenden Wassers steht; die vorliegende Arbeit ist eine Art und Weise, sich über die umfassendere gesellschaftliche und politische Landschaft Gedanken zu machen.»