Christoph Oertlis Arbeiten fordern körperliche Präsenz. In der ersten Online-Führung des Kunsthauses Baselland nimmt der Künstler Stellung zu seiner Ausstellung, in der es um den Menschen geht. Den Menschen in seinem gebauten, mehr künstlichen denn natürlichen Umfeld, zwischen real und fiktiv, traumverloren oder leider bisweilen auch unmenschlich-realistisch.
Kunsthaus Baselland | Online-Führung | Christoph Oertli
Fast prophetische Bilder: In manchen von Christoph Oertli Videoarbeiten sieht man Menschen einsam im Park.
Christoph Oertli (* 1962 in Winterthur, lebt und arbeitet in Basel und Brüssel), 1982–1987 Schule für Gestaltung Zürich (heute: ZHdK), Vorkurs und Gra kfachklasse, 1988–1990 SF DRS, Zürich, Bühnenbildner, 1992–1995 Schule für Gestaltung Basel (heute: FHNW), Audiovisuelle Gestaltung bei René Pulfer und Enrique Fontanilles. Zahlreiche Präsentationen seiner Filme und Videos anlässlich von Festivals: Sensing Bodies wird bei den Solothurner Filmfestspielen gezeigt.
Bildlegende: Christoph Oertli, Sensing Bodies, 2020, (videostill), Courtesy the artist
Der Mensch, wie er lebt
In Christoph Oertlis Arbeiten geht es um mehr als um projizierte Bewegbilder auf unterschiedlichen Untergründen oder gar um Mediales, dem man sich mal mehr, mal weniger entziehen kann. Die Arbeiten des Zürcher Künstlers fordern körperliche Präsenz. Über eine Plattform geht es in Ausstellungsräume mit gebauten Screens, an Monitoren vorbei über PVC-Wandstrukturen zu Soundarbeiten. Das ist denn auch seit Jahren das Bestimmende und Kennzeichnende für das Schaffen des Film- und Videokünstlers: der Mensch in seinem gebauten, mehr künstlichen denn natürlichen Umfeld, zwischen real und fiktiv, traumverloren oder leider bisweilen auch unmenschlich-realistisch. Oertlis Videoarbeiten zeigen den Menschen, wie er lebt, liebt, sich verhält und seine Identität versucht zu begreifen und zu fassen — global, geschlechter- und generationenübergreifend, nah, intim, unausweichlich.
Sensing Bodies
In langen, teils aufwendigen Inszenierungen baut er die Drehorte selbst, einer Bühneninszenierung nicht unähnlich, wie etwa in «The ground is moving» von 2010. Die Personen, die darin auftreten, sind Menschen, denen Oertli auf seinen teils viele Monate andauernden Reisen und Aufenthalten begegnet. So perfekt inszeniert, fast fotografisch das Endergebnis bisweilen anmuten mag, so offen und prozesshaft ist der Anfang. Drehorte, Situationen, die Personen darin — all das ergibt sich für Oertli im Moment der eigenen Anwesenheit an diesen Orten und in diesen Ländern. Typisch für Oertli: Er reist nicht mit einem fertigen Drehbuch an die Orte, sondern trifft Menschen, denen er in Afrika (Tension Box, 2014), Asien (Campus, 2013; Sensing Bodies, 2020) oder in europäischen Städten wie Brüssel (The ground is moving, 2010; Monsieur René, 2012; Timeline, 2014; Gare du Nord, 2017, etc.), Basel und Zürich begegnet. Eine grosse Herausforderung sei es, so Oertli, dass man nach einer gewissen Zeit an einem Ort zwar noch nicht viel von der Kultur verstehe, aber trotzdem schon unendlich viel mehr wisse als vor der Reise. Diese Erfahrung trenne einen immer wieder von anderen Menschen. So sei Sensing Bodies kein «Film über Japan», sondern sei aus dem Interesse am Gebrauch unserer Körper in hochentwickelten Gesellschaften heraus entstanden. Gerade die Kamera ermöglicht es Oertli, einen distanzierten Blick zu bewahren und sich bisweilen auf scheinbare Winzigkeiten oder Details zu konzentrieren, die er hervorhebt.
Direkt, offen und verletzlich
In seinen unterschiedlichen Settings lässt Oertli keine Schauspieler*innen über etwas berichten oder eine Situation nachstellen. Jene, die zu sehen sind, erzählen — mal mit weniger Worten, mal mit mehr — ihre Geschichte, ihr Leben, in aller Direktheit und Ungeschöntheit. So versteht sich auch, warum in vielen Arbeiten — gerade den frühen — auch der Künstler selbst immer wieder zu sehen ist: wie er vor der Kamera auf dem Stativ performt, singt, agiert — auch hier in aller Direktheit, Offenheit, aber auch Verletzlichkeit. Und vielleicht wird gerade dadurch deutlich, dass sein Blick durch die Kamera, dem er sich auch selbst aussetzt, kein voyeuristischer ist. Oertli filmt das Leben im Hier und Jetzt, greift es sanft ab, umkreist es, um in diesem 360-Grad-Blick ganz in dessen Mitte zu kommen. Der Körper des Künstlers ist dabei ebenso unmittelbar in den Arbeiten anwesend — sei es durch die Position und Höhe der Kamera und des dadurch entstehenden Blicks, durch das Gehen, Stehen, Atmen oder Luftanhalten während des Filmens.
Text: Kunsthauses Baselland, OT