Sie war eine Aussenseiterin in der Kunstgeschichte. Emma Kunz sollte erst Jahre nach ihrem Tod künstlerische Anerkennung bekommen, neben Rudolf Steiner, Andrej Belyj und Joseph Beuys wurden ihre Werke in einer wegweisenden Gruppenausstellung gezeigt. «Richtkräfte für das 21. Jahrhundert» wurde 1999 im Kunsthaus Zürich eröffnet und liess die Schweizer Künstlerin von da an immer in den Fokus der Kunstwissenschaft und damit des öffentlichen Interesses rücken.
Kunsthalle Ziegelhütte | Emma Kunz und Gegenwartskunst - Zahl, Rhythmus, Wandlung
Die Arbeiten von Emma Kunz überschreiten bewusst die engen Grenzen der heutigen Kunst und öffnen sich in Richtung Naturforschung und Holismus.
Organisation und Publikation
Die Kuratorinnen Régine Bonnefoit und Sara Petrucci betreuen in Zusammenarbeit mit der Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell das gesamte Projekt. Partner sind das Institut d’histoire de l’art et de muséologie (IHAM), Université de Neuchâtel und das Emma Kunz Zentrum, Würenlos. Die ausstellungsbegleitende, gleichnamige Publikation nimmt Emma Kunz in verschiedenen Aufsätzen in die abendländische Geistesgeschichte und in die Entwicklungsgeschichte der Gegenwartskunst auf.
Zahl, Rhytmus, Wandlung
Die Ausstellung würdigt erstmals das zeichnerische Werk der Schweizer Künstlerin und Radiästhesistin Emma Kunz (1892-1963) in der Kulturlandschaft Appenzellerland, in der sie seit 1951 bis zu ihrem Tod lebte und arbeitete. Gleichzeitig werden die faszinierenden energetischen Diagramme von Kunz, die ihre visuellen Arbeiten 1941 selbst als «für das 21. Jahrhundert bestimmt» bezeichnete, in Beziehung zur Gegenwartskunst gesetzt. Die teils multimedialen, immer interdisziplinären Arbeiten von 12 zeitgenössischen Schweizer und internationalen Künstler*innen bilden einen Resonanzraum, in dem die ganzheitliche Vision und Weltkonzeption von Emma Kunz mitschwingt.
Die Heilpraktikerin, die sich «Penta» nannte, gestaltete seit 1938 mithilfe eines Pendels grossformatige geometrische Zeichnungen, die einerseits im therapeutischen und hellseherischen Prozess als Diagnosemittel dienten, andererseits aber auch als bildnerische Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen und philosophischen Forschungen zu Mensch und Natur zu deuten sind. 1953 publizierte Kunz im Eigenverlag zwei Bücher, in denen sie knappe, die mathematisch-physikalischen Konstanten ihrer Bildschöpfung benennende Erklärungen zu ihrer Zeichnungsmethode gab: «Gestaltung und Form als Mass, Rhythmus, Symbol und Wandlung von Zahl und Prinzip».
Zeitgenössische Positionen
In der heutigen Kunst finden sich zahlreiche Entsprechungen zum systematisch-methodischen Forschungsansatz von Emma Kunz, deren Ziel eben keine scheinbare ästhetische Autonomie, sondern eine transdisziplinäre Wissensvermittlung ist. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten von Patxi Araujo, Tauba Auerbach, Mirjam Beerli, Vidya Gastaldon, Agnès Geoffray, Roswitha Gobbo, huber.huber, Gilles Jobin, George Steinmann, Bernard Tagwerker, Suzanne Treister und Laura Viale markieren jene Übergangszone zwischen Kunst, Gesellschafts- und Naturwissenschaft, in der auch Kunz‘ Bildwelten ihre Wirksamkeit entfalten.
Im Zentrum der sich über drei Stockwerke erstreckenden Ausstellung steht eine der Hauptfiguren «einer anderen Moderne»: Emma Kunz. Zu sehen ist eine konzentrierte Auswahl aus ihren über 400 Zeichnungen, darunter einige noch nie öffentlich gezeigte Arbeiten sowie Fotografien und Dokumenten aus dem Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden. Anhand dieser Selektion wird ein assoziatives Netz aufgespannt, dessen Koordinaten von so unterschiedlichen Bereichen wie Technologie, Medialität, Phänomenologie oder Kybernetik bestimmt sind. Ausgehend von diesem Zellkern leuchten in den Arbeiten der beteiligten zeitgenössischen Künstler*innen, die teils unmittelbar auf die Gedanken und Bildmethoden von Emma Kunz Bezug nehmen, teils eher als Parallelerscheinungen zu erkennen sind, künstlerische Fragestellungen auf, deren Referenzpunkte ausserhalb des »l’art pour l’art» liegen. Fächerartig spannt sich ein Bogen auf, der von der Untersuchung der «Kunst und dem Künstler als Medium und Mittel» über die «Heilkräfte der Kunst», den «Mechanismen der Bilderzeugung» und den «Körper als Bedeutungsträger» bis hin zur «Kunst als Meditation» reicht.