Der Kurator Philipp Kaiser hat für die Ausstellung «Women of Venice» im Schweizer Pavillon an der Kunstbiennale 2017 die Künstlerin Carol Bove sowie das Künstlerpaar Teresa Hubbard / Alexander Birchler eingeladen. Kaiser sieht das Projekt als Auseinandersetzung mit der Absenz von Alberto Giacometti im Schweizer Pavillon, der sich zu Lebzeiten allen Bemühungen um eine Teilnahme entzogen hat.
Kunstbiennale Venedig 2017 | Schweizer Pavillon | Philipp Kaiser
- Publiziert am 9. März 2016
Giacomettis Abwesenheit
Die Ausstellung «Women of Venice» nimmt Bezug auf Alberto Giacomettis kaum bekannte Absenz im Schweizer Pavillon an der Kunstbiennale von Venedig. In dem von seinem Bruder, dem berühmten Architekten Bruno Giacometti, 1952 errichteten Pavillon sind neue, eigens für die Kunstbiennale 2017 geschaffene Werke von Carol Bove und Teresa Hubbard / Alexander Birchler zu sehen. Sie setzen sich mit dem Erbe und Kosmos Alberto Giacomettis auseinander. «Die Ausstellung ’Women of Venice’ will aus zeitgenössischer Perspektive die Geschichte des Schweizer Beitrags und Pavillons an der Biennale reflektieren und gleichzeitig neue, spezifische Kunstwerke initiieren.» So umreisst der von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia nominierte Kurator Philipp Kaiser sein Konzept. Mit der Ausstellung will Kaiser nationalstaatliche Identitätskonzepte und kulturpolitische Kontexte reflektieren.
Die Liebe des jungen Alberto
Anlässlich der Kunstbiennale 2017 präsentieren das schweizerisch-amerikanische Künstlerpaar Teresa Hubbard / Alexander Birchler die doppelseitige Filminstallation «Flora». Sie basiert auf neuen Entdeckungen, welche die Künstler bei ihren Recherchen zur Geschichte der unbekannten, amerikanischen Künstlerin Flora Mayo, die in den 1920er Jahren zeitgleich mit Giacometti in Paris studiert hat und dessen Geliebte war, gemacht haben. Indem sie fiktive und dokumentarische Szenen verknüpfen, reimaginieren Teresa Hubbard / Alexander Birchler Flora Mayos Leben und Werk und lassen ihren bislang unbekannten Sohn zu Worte kommen. «Flora» ist strukturiert als verwobenes Gespräch zwischen zwei Seiten – Mutter und Sohn; Los Angeles und Paris; 2016 und 1927 – und wird im Malereisaal des Pavillons gezeigt. Im benachbarten Grafiksaal präsentieren Hubbard / Birchler ihre zweite Arbeit «Bust», eine Rekonstruktion und Rebinszenierung von Flora Mayos zerstörter Porträtbüste von Giacometti, die einzig einer verschollenen Fotografie ihr Überleben verdankt. Giacomettis und Mayos Beziehung und die daraus entstandene Porträtbüste reflektieren die kreative Kraft der kollaborativen künstlerischen Tätigkeit und beziehen sich zugleich auf das frühe Leben Alberto Giacomettis.
«Femmes de Venise»
Die in Genf geborene, amerikanische Künstlerin Carol Bove bringt die zweite künstlerische Position im Schweizer Pavillon ein. Sie erörtert in ihren Werken Fragen der Theatralität und Autonomie. Für die Ausstellung im Schweizer Pavillon nimmt Bove Giacomettis Figurenkonstellationen als Ausgangspunkt und spürt ihren relationalen Kräften nach. Gewissermassen als Antwort auf Alberto Giacomettis Abwesenheit im Schweizer Pavillon hat Bove mit «Les Pléiades» eine neue Gruppe von sieben Skulpturen geschaffen, die sich auf das späte figurative Werk des Künstlers bezieht und die im Hof des Pavillons gezeigt werden. Bove interessiert sich dafür, wie die Vertikalität und Körperlichkeit der Figuren Giacomettis das Wesen von Skulptur erforschen. Ihre neuen Arbeiten greifen skulpturales Vokabular sowohl durch Materialspezifität als auch Eklektizismus auf, und beziehen sich dabei lose auf einige bekannte Figurengruppen Giacomettis, wie «La Forêt» und «Femmes de Venise». Hierzu in Dialog lässt Bove zwei weitere Skulpturen treten, welche die Skulpturenhalle voluminös besetzen und den Begriff der Präsenz entsprechend ihrer architektonischen Umgebung behandeln.
Absage an den Nationalismus
Zweifellos gehört Alberto Giacometti zu den einflussreichsten Schweizer Künstlern des 20. Jahrhunderts. Umso mehr erstaunt seine Absenz in Venedig. Der in Paris wohnhafte Künstler wurde zwar über Jahre hinweg immer wieder eingeladen, an der Biennale von Venedig im Schweizer Pavillon auszustellen. Die Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Giacometti verstand sich schon früh als internationaler Künstler und verweigerte sich als solcher konsequent einer nationalen Vereinnahmung. Selbst als sein Bruder Bruno den neuen Schweizer Pavillon baute, lehnte der Künstler eine Ausstellungseinladung dankend ab. Stattdessen schlug er einen anderen Künstler vor. 1956 präsentierte er dann im französischen Pavillon die aus Gips gefertigte Figurengruppe «Femmes de Venise». Wenige Jahre vor seinem Tod wurde ihm 1962 schliesslich als internationale Anerkennung in Venedig der Grosse Preis für Skulptur verliehen.