Die Fotografie ist ihrem Wesen nach spielerisch. Aber Fotografie ist kein freies Spiel. Es gilt Regeln einzuhalten, Fertigkeiten zu beherrschen, Erwartungen zu erfüllen. Die Gruppenausstellung «How to Win at Photography» untersucht das Verhältnis von Spiel und Bild und stellt dabei unerwartete Verbindungen zwischen der Geschichte der Fotografie sowie den Praktiken der Bildproduktion mit und in Computerspielen her.
Fotomuseum Winterthur | How to Win at Photography
- Publiziert am 28. Mai 2021
Das Fotomuseum Winterthur ist führend in der Präsentation und Diskussion der Fotografie und visuellen Kultur. Die Institution zeigt Arbeiten junger wie auch etablierter Fotograf*innen im Rahmen von wechselnden Einzel- und thematischen Gruppenausstellungen. Darüber hinaus untersucht die Institution fotografische Phänomene vor dem Hintergrund neuer Technologien und digitaler Medien und reflektiert diese kritisch. Künstlerische, angewandte und kulturelle fotografische Erscheinungsformen erforscht das Museum in ihrer breiten Vielfalt. Der Austausch und der Dialog sind für das Fotomuseum Winterthur zentral. Die Institution steht für eine reflektierte, selbstbestimmte und kreative Mediennutzung ein. Über die Sammlung (ab 1960) gestaltet das Museum die Geschichte(n) und das Verständnis fotografischer Medien mit.
Spielerische Formen der Fotografie
Spielen wir mit der Kamera oder spielt die Kamera letztlich mit uns? Haben wir wirklich die Kontrolle oder sind wir nur Spielfiguren in einem grösseren technischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Netzwerk? Was können spielerische Formen der Fotografie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene bewirken? Wer oder was vollzieht den Akt des Sehens und Fotografierens – Menschen, Maschinen oder eine Kombination aus beiden? Und schliesslich: Wer spielt mit und wer gewinnt? Dies sind nur einige der Fragen, denen «How to Win at Photography» nachgeht.
Game Travel beleuchtet die Praxis des Fotografierens innerhalb von Videospielen. Die Aufnahme von Screenshots, also von Bildschirm-Schnappschüssen, bei denen ein Teil oder der gesamte Bildschirm abfotografiert oder «eingefroren» wird, ist in der Videospielkultur weit verbreitet. Anstatt ein Videospiel zu spielen, spielen Fotograf*innen und Künstler*innen mit dem Videospiel und setzen sich so auf ungewohnte Weise mit Games auseinander. Screenshots aus Videospielen dienen – insbesondere politischen Organen – jedoch auch der strategischen Desinformation – wie im Fall des russischen Verteidigungsministeriums, welches 2017 einen angeblich «unwiderlegbaren Beweis» dafür postete, dass die US- Streitkräfte die Terrororganisation ISIS unterstützen. Die angeblichen Beweisfotos entpuppten sich bald als eine Reihe von Screenshots aus dem Smartphone-Spiel AC-130 Gunship Simulator: Special Ops Squadron.
Gameplay befasst sich mit der Entstehung von Regeln und Bewertungssystemen in der zeitgenössischen Fotografie. Messbare Werte wie Likes, Shares, Follower*innen oder Reposts treiben die Gamifizierung der visuellen Kultur – die Anwendung spieltypischer Mechanismen in einem nicht gamespezifischen Kontext – stetig voran. Bewertungssysteme für Bilder sind heute zur Normalität geworden, wir alle möchten mit unseren eigenen Bildern punkten. In diesem Kontext können sich Produzent*innen von Inhalten entweder dem Status quo anpassen, indem sie «erfolgreiche» Bilder herstellen, oder sie können versuchen, die herrschenden Logiken zu unterlaufen, um die Gamifizierung zu hinterfragen, abzulehnen oder zu sabotieren.
Das Kapitel Replay erkundet die Praxis des Nachbildens und Neuinszenierens. Während Spiele immer «realistischer» werden und die Realität zunehmend gamifiziert wird, verschwimmen die Begriffe von Original und Kopie. So nutzen beispielsweise Gamer*innen auf der ganzen Welt Kriegssimulationsspiele, um die ikonische Fotografie eines nicht identifizierten Mannes, der auf dem Tian’anmen-Platz vor einem Konvoi von Panzern steht, nachzuspielen. Mit Screenshots der Szene lassen sie das Ereignis, welches durch Zensur teils unsichtbar gemacht wird, wieder sichtbar werden. Durch die Aneignung und Rekontextualisierung von Bildern stellen Künstler*innen und Fotograf*innen die vorherrschenden Autoritäten in Frage und bringen Gegenerzählungen hervor, die wiederum die Realität beeinflussen können.
Role Play widmet sich dem Spiel mit Identitäten. Von fotografischen Porträts bis hin zu Selfies, von Videospiel-Avataren bis hin zu Filmstars – das Rollenspiel ist eine der wenigen Konstanten im ständigen Wandel der Geschichte der Figurendarstellung. Das performative Spiel mit dem eigenen Selbst wird dabei oftmals zu einem ermächtigenden Akt sowie zu einer Kritik an Darstellungstraditionen, die Minderheiten ausschliessen und Regeln, Bezeichnungen und Grenzen dafür festlegen, was gesellschaftlich als «normal» gilt und somit akzeptiert wird.
Camera Play hinterfragt die Funktion der Kamera und die Art und Weise, wie sie die Realität formt und hervorbringt. Die Kamera wird gemeinhin als Werkzeug von Fotograf*innen verstanden. Doch seit ihren Anfängen haben Künstler*innen sowohl die Regeln als auch die Art und Weise, wie der Apparat die Welt «sieht», hinterfragt. Indem sie mit der Kamera spielen – manchmal gegen ihre vorgesehenen Funktionen –, bringen Fotograf*innen die Ideologien ans Licht, die die Herstellung, die Verbreitung und den Konsum von Bildern bestimmen. Indem sie die Kamera bewusst verfremden, modifizieren, hinterfragen und neu erfinden, können ungewohnte Sehweisen entstehen.