Während sich Deutschland einer «brennenden» Frage stellt und einen regelrechten Klima-Thriller bietet und Kanada sich mit dem zukunftsweisenden «Baustoff» Picoplanktonics beschäftigt – lebende Cyanobakterien, die in der Lage sind, Kohlenstoff zu binden – «poetisiert» der Schweizer Pavillon brav an den aktuellen Herausforderungen der Architektur vorbei. Auch wenn dessen Absicht löblich ist.
Es wird heiss!
- Publiziert am 13. Mai 2025
Der deutsche Pavillon der 19. Architekturbiennale bringt eindrücklich zum Ausdruck, was der Klimawandel für den Städtebau bedeutet.
Im Rahmen der 19. Architekturbiennale zeigt die Schweizer Künstlerin Garda Alexander im Palazzo Mora (ECC) ihre Installation Staziun da Forza. arttv.ch hat die Künstlerin bei der Entstehung der eigentlichen Arbeit in der Schweiz und in der Wüste Sinai mit der Kamera begleitet und ein Porträt realisiert. (siehe Themenverwandte Beiträge)
von arttv Chefredaktor Felix Schenker
Wo bleiben die Frauen?
Tatsächlich sind alle 29 Länderpavillons im Gelände der Biennale von Männern geplant und umgesetzt worden. Da darf man sich sicherlich die Frage stellen: Wie würde der Schweizer Pavillon – aus der Hand von Bruno Giacometti 1952 fertiggestellt – aussehen, wenn er von einer Frau konzipiert worden wäre? Als Ausgangslage für dieses theoretische Gedankenexperiment dient den Macher:innen des Schweizer Pavillons ein Zitat der Architektin Lisbeth Sachs (1914–2002): «Endgültige Form wird von der Architektin am Bau bestimmt». Sachs war eine der ersten eingetragenen Architektinnen der Schweiz und Zeitgenossin von Bruno Giacometti. Sie bezeichnete sich bereit in den 1950er-Jahren explizit als weibliche Architektin. Da verwundert es auch nicht, dass sie die temporäre Kunsthalle für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) 1958 in Zürich schuf. Während Giacomettis Pavillon in den Giardini della Biennale di Venezia immer noch steht, wurde jener von Sachs unmittelbar nach der Ausstellung wieder abgerissen. So gesehen ist es eine berechtigte Absicht, diesen «wieder aufleben zu lassen, und so auf die historische Abwesenheit von Architektinnen in den Giardini hinzuweisen sowie ein räumliches Gedächtnis für weniger bekannte Architekturen zu wecken.» Nur, was hat das mit der aktuellen Fragestellung der 19. Architekturbiennale zu tun, die den Titel «Intelligens. Natürlich. Künstlich. Kollektiv» trägt?.
Besticht in seiner Materialität und seinen Dimensionen bedeutend mehr: Das Original von Lisbeth Sachs.
Ja aber!
Was als Konstrukt begrüssenswert und spannend ist, dürfte sich leider im Schweizer Pavillon für die Mehrheit der Besucher:innen nicht erschliessen. Gerne würde man mehr erfahren über Lisbeth Sachs, aber dazu muss man erst den aufgelegten Flyer durchlesen und auch da finden sich kaum Infos und nur winzige, mit künstlichem Grauton eingefärbte Fotos. Auch dürfte kaum einer Besucherin oder einem Besucher, die oder der nicht eine persönliche Führung geniesst, ersichtlich sein, dass hier Sachs Kunsthalle nachgebaut, aber neu interpretiert wird. So wurden beispielsweise ihre Betonwände durch Holzelemente ersetzt. Bemerkenswerter jedoch ist, dass Sachs ihre Architektur als Mittel verstand, um Inhalte zu transportieren. Genau solche präsentieren sich im Schweizer Pavillon aber – wenn überhaupt – dermassen abstrakt und überinterpretiert, dass sie sich nur nach langer Lektüre erschliessen. Der Gestaltung des Pavillon überzeugt zwar als architektonisches Gebilde, bietet aber nicht mehr als eine leere Hülle, wenn man von der ortsspezifischen Klanginstallation einmal absieht. Damit wollen die Kuratorinnen den Pavillon in eine multisensorische Erlebniswelt überführen. Während 1,5 Jahren wurden Geräusche vor Ort aufgenommen, etwa Hammerschläge. Besonders interessant ist das nicht und ein weiteres ziemlich blutleeres und «verkopftes» Element. Alles in allem ist der Schweizer Pavillon ein zwar gut gemeinter Beitrag, sich mit dem Stellenwert weiblicher Architektur auseinanderzusetzen, der aber ungewollt ins Gegenteil abdriftet. Dafür ist dessen Ansatz zu selbstgefällig. Liesbeth Sachs, die mit ihrem «Ein-Frau-Büro» etwa auch das Kurtheater Baden schuf, bleibt inhaltlich ziemlich auf der Strecke.
Architektonische Herausforderungen der Zeit
Während die Schweiz mit «Überinterpretation glänzt», bietet Deutschland einen wahren Klima-Thriller, der sich mit Ideen für das Leben in einer überhitzten Welt auseinandersetzt. Im deutschen Pavillon ist eine riesige Videoinstallation zu erleben, die die Bedrohung der Klimaerwärmung – im Speziellen für die Städte – in überwältigender Weise zum Ausdruck bringt. In einem der Nebenräume wird das auch physisch spürbar. An der Decke brütet eine Infrarotheizung, die uns empfinden lässt, wie es auch in Metropolen des Nordens dereinst sein könnte. Die Überhitzung unserer Städte und Natur hat allerdings bereits heute tiefgreifende Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Hitze in der Stadt und auf dem Land betrifft vor allem ältere und vulnerable Menschen, aber auch Kinder. Daher sind Massnahmen zur Hitzevorsorge und eine angepasste bauliche Gestaltung unserer Städte und Gemeinden, wie beispielsweise durch mehr grüne und blaue Infrastrukturen, Bäume und Wasserflächen sowie Verschattungselemente Themen von höchster Aktualität. Sie tragen dazu bei, Gesundheitsgefahren zu senken und die Aufenthalts- und Lebensqualität in Stadt und Land für alle Menschen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Mit diesen äusserst wichtigen Themen setzt sich der deutsche Pavillon in eindrücklicher Weise auseinander.
Bakterien als Baustoff?
Die Schweiz ist aber indirekt durchaus mit einem zukunftsweisenden Beitrag an der 19. Internationalen Architekturausstellung vertreten. Im kanadischen Pavillon werden lebende Strukturen gedruckt, die Kohlendioxid speichern. Das Projektteam wird von der ETH-Doktorandin Andrea Shin Ling geleitet.
Inmitten der anhaltenden globalen Klimakrise haben sie und das Living Room Collective eine bahnbrechende Ausstellung entwickelt, die das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Natur aufzeigt. Picoplanktonics besteht aus 3D-gedruckten Strukturen, die lebende Cyanobakterien enthalten, die in der Lage sind, Kohlenstoff zu binden. Es ist eine Erkundung unseres Potenzials, mit lebenden Systemen zusammenzuarbeiten, indem wir gemeinsam Räume konstruieren, die den Planeten sanieren, anstatt ihn auszubeuten. Die Ausstellung des Living Room Collective ist der Höhepunkt von vier Jahren gemeinsamer Forschung von Andrea Shin Ling und verschiedenen interdisziplinären Mitwirkenden. Sie konzentriert sich darauf, die Designprinzipien lebender Systeme zu nutzen, um nachhaltige, intelligente und widerstandsfähige Materialien und Technologien für die Zukunft zu entwickeln. Durch die Nutzung uralter biologischer Prozesse und neu entstehender Technologien wird die Gestaltung von Umgebungen nach dem Prinzip «Ökologie zuerst» vorgeschlagen.
Tor Alva – der weisse Turm von Mulengs
Kanada und Deutschland bringen Themen aufs Tapet, die man sich auch vom Schweizer Beitrag gewünscht hätte. Diesbezüglich könnten wir durchaus mit diversen Beiträgen glänzen. Denken wir nur beispielsweise an den Tor Alva – der weisse Turm von Mulengs. In einem vergessenen, fast ausgestorbenen Bündner Bergdorf entsteht der höchste, durch einen 3D-Drucker erstellten Turm der Welt. Der Weisse Turm verwirklicht die marktreifen Innovationen der weltweit führenden Forschung und leistet mit seiner Realisierung einen wesentlichen Beitrag zum globalen Durchbruch dieser neuartigen, digitalen und ressourcenschonenden Bauweise und Architektur. Eine Pionierleistung, die die Möglichkeiten der 3D-Druckweise für das Bauen, die Architektur und die Umwelt auf faszinierende Weise demonstriert und aufzeigt, wie sicheres, ökonomisches und ökologisches Bauen durch massive Reduktion des Materialbedarfs und der C02-Emissionen möglich ist. Wie das Bauen modular, zirkulär und skalierbar wird.
Eine anderer spannender Beitrag wäre etwas auch die Einhausung der Autobahn im Zürcher Stadtteil Schwamendingen gewesen.