Camille Henrots skulpturales, malerisches und filmisches Werk befasst sich mit der Dynamik menschlicher Abhängigkeit, individueller Verantwortung und gesellschaftlicher Probleme in einer zunehmend vernetzten und reizüberfluteten Welt. In ihren Arbeiten bedient sie sich zahlreicher Referenzen aus Literatur, Cartoons, Poesie, sozialen Medien, Psychoanalyse und der Banalität des Alltagslebens.
Das Kunstmuseum St.Gallen zeigt die erste Solo-Ausstellung von Camille Henrot in der Schweiz
In den letzten zwanzig Jahren hat Camille Henrot (*1978, Paris, Frankreich) eine von der Kritik gefeierte Praxis entwickelt, die Zeichnung, Malerei, Skulptur, Installation und Film umfasst. Henrots Arbeit erfassen die Komplexität des Lebens als Privatperson und globaler Bürgerin in einer zunehmend vernetzten und überreizten Welt. Ein Stipendium am Smithsonian Institute im Jahr 2013 führte zu ihrem Film «Grosse Fatigue», für den sie an der 55. Biennale von Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde. 2017 erhielt Henrot Carte Blanche im Palais de Tokyo in Paris, wo sie die Ausstellung «Days Are Dogs» präsentierte. Sie wurde 2014 mit dem Nam June Paik Award und 2015 mit dem Edvard Munch Award ausgezeichnet und hat unter anderem an den Biennalen von Lyon, Berlin, Sydney und Liverpool teilgenommen. Henrot hatte weltweit zahlreiche Einzelausstellungen, unter anderem im New Museum, New York, im Schinkel Pavillon, Berlin, im New Orleans Museum of Art, in der Fondazione Memmo, Rom, und in der Tokyo Opera City Art Gallery, Japan. Camille Henrot lebt in New York.
Reflexion der Fürsorge
Die erste Einzelausstellung der französischen Künstlerin in der Schweiz ist eine Erkundung des Konzepts der Fürsorge in ihren vielfältigen Ausprägungen, sowohl figurativ wie die Nanny, die Kindergärtnerin oder der Hundespaziergänger, als auch abstrakt wie im Kalender, im Vertrag oder in administrativen Aufgaben. «Ich möchte anerkennen, dass Fürsorge – abgesehen davon, dass sie ein wesentlicher und grundlegender Ausdruck der Liebe und Aufmerksamkeit darstellt – auch ein ambivalenter, verstrickter und bisweilen chaotischer Akt ist», meint die Künstlerin.
Von Fleur Jaeggy inspiriert
Die Ausstellung umfasst über dreissig Werke, von denen viele eigens für ihre Ausstellung in der Schweiz produziert wurden. Die Arbeiten fügen sich zu einer Gesamtinstallation, die eine Art Spielplatz versinnbildlicht, ein Ort der Ablenkung, der Pflege, der Vernachlässigung und geprägt von anstehenden Aufgaben.
Es gibt ein gleichzeitiges Potenzial für Spiel und Gefahr, für Aufmerksamkeit und Zerstreuung. Der Ausstellungstitel ist dem gleichnamigen Roman
der italienisch-schweizerischen Autorin Fleur Jaeggy (*1940 Zürich) entlehnt. Henrots wie Jaeggys Überlegungen sind geprägt von einem belasteten Verhältnis gegenüber dem Erwachsenwerden, der Etikette, den gesellschaftlichen Normen und kodierten Verhaltensregeln.
Interrupted Lullabies
Für die St.Galler Ausstellung hat der Komponist und Musiker Mauro Hertig (*1989 Zürich) die Klanginstallation «Interrupted Lullabies» realisiert. Sie durchflutet den Ausstellungsraum mit vertrauten und zugleich befremdlich anmutenden Tönen und Geräuschen, die ein Kind in einem Zustand der Hyperfokussierung hört: ein Hund, der sich an den Ohren kratzt, summende Bienen, ein elterliches «Sch». Gesummte Wiegelieder sowie ein vor Ort aufgeführtes Chorstück ergänzen die Komposition und erweitern Henrots Installation eindrucksvoll.
(Text: Kunstmuseum St.Gallen)