Sie füllt das Zürcher Hallenstadion mit ihrem Podcast «Zivadiliring» und schreibt Bestseller über gesellschaftliche Freiheit. Jetzt erobert Yvonne Eisenring die Leinwand. In ihrem neuen Film «LOVE ROULETTE» – für den sie gleich das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle übernahm – stellt sie die ultimative Frage: Ewige Liebe oder die Angst, etwas zu verpassen? Ein Gespräch über Authentizität, den Mut zu unkonventionellen Lebensentwürfen und den Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit.
Yvonne Eisenring | LOVE ROULETTE
«Die Angst, sich festzulegen, weil man ständig denkt, es könnte noch etwas Besseres kommen, kennen alle in meiner Generation.»
Yvonne Eisenring, geboren 1987 in Zürich, ist eine der drei Hosts des erfolgreichen Podcasts «Zivadiliring» und eine gefragte Autorin. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete sie als TV-Reporterin für Tele Züri und wurde 2013 als «Newcomerin des Jahres» ausgezeichnet.
Heute ist Eisenring eine anerkannte Stimme in der Schweizer Kulturbranche. Sie schrieb mehrere Bücher, darunter die Bestseller «Nino» und «Life Rebel». Eisenring verfasst auch Theaterstücke, wie das gesellschaftskritische Stück «Sexist*in», das unter anderem in Buenos Aires inszeniert wurde, und die Komödie «Wolke 97», die in verschiedenen Theatern in der Schweiz und in Österreich aufgeführt wurde.
Ihre Arbeit zeichnet sich durch eine Mischung aus persönlicher Erzählung und fiktiven Geschichten aus, behandelt relevante gesellschaftliche Themen und erreicht ein grosses Publikum. Die Autorin pendelt zwischen Zürich, Paris und New York und engagiert sich für Themen wie Gleichberechtigung und den offenen Umgang mit Trauer und Tod. Der Kinofilm LOVE ROULETTE, für den sie das Drehbuch schrieb und die Hauptrolle spielt, ist ein weiterer Höhepunkt in ihrer vielseitigen Karriere.
Mit Yvonne Eisenring sprach Felix Schenker, Chefredakor arttv.ch
Yvonne Eisenring in diesem Interview geht es um Ihren Film LOVE ROULETTE, dennoch kommen wir fast nicht darum herum, Sie nach ihrem enormen Erfolg mit dem Podcast «Zivadiliring» zu fragen. Dürfen wir?
Klar.
Der Live-Podcast von «Zivadiliring» im ausverkauften Hallenstadion vor fast 10 000 Besucher:innen mit Ihnen und Ihren Co-Hosts Maja Zivadinovic und Gülsha Adilji ist ein historisches Ereignis für die Schweizer Podcast-Szene. Wie erklären Sie sich diesem enormen Zulauf und die Begeisterung beim fast ausschliesslich weiblichen Publikum.
Ich glaube, viele Frauen – aber auch viele Männer, nur nicht soooo viele – haben einfach Lust auf ehrliche, authentische Gespräche über das Leben mit all seinen Widersprüchen und wollten bei diesem Ereignis dabei sein. Wenn 10 000 Menschen zusammenkommen, kann etwas Magisches entstehen. Trotz der Grösse war es im Hallenstadion erstaunlich intim.
Bevor wir über den Film sprechen: Sie sind ja auch Moderatorin, Philosophin und erfolgreiche Autorin. Ihre Bücher, wie «Life Rebel» und «Nino» behandeln gesellschaftliche Normen und persönliche Freiheit. Inwiefern speist sich dieser Fokus aus Ihren eigenen Erfahrungen und wie entscheiden Sie, welche privaten Erlebnisse es in Ihre Bücher schaffen und welche privat bleiben?
Ich schreibe immer über Themen, die mich interessieren, zu denen ich einen Bezug habe und über die ich etwas sagen kann. Insofern haben alle Themen in meinen Werken irgendwie mit mir zu tun, sind aber längst nicht alle autobiografisch. Im Gegenteil. Ich schreibe mehrheitlich fiktive Geschichten. Generell entscheide ich sehr bewusst, was ich teile und was nicht. Ich schütze mein Privatleben und die Leute in meinem Umfeld vor der Öffentlichkeit. Und wenn ich eine Sache noch nicht verarbeitet habe, schreibe oder rede ich nicht darüber.
LOVE ROULETTE behandelt die moderne Herausforderung der Liebe in einer Welt, in der ein «Swipe» ausreicht, um die Karten neu zu mischen. Was hat Sie persönlich an diesem Thema fasziniert und motiviert, das Drehbuch zu schreiben?
LOVE ROULETTE ist eine fiktionale Geschichte, aber die Themen, die darin vorkommen, sind durch mein Umfeld und meine eigenen Erfahrungen geprägt. Die Angst, sich festzulegen, weil man ständig denkt, es könnte noch etwas «Besseres» kommen und etwas zu verpassen, kennen alle in meiner Generation.
Sie spielen auch die Hauptrolle der Charlie. War es von Anfang an geplant, dass Sie sowohl das Drehbuch schreiben als auch die Hauptfigur verkörpern, oder hat sich das im Laufe des Projekts ergeben?
Nein, das war überhaupt nicht von Anfang an geplant. Ich wurde 2019 vom Produzenten von tellfilm, Stefan Jäger, gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, ein Drehbuch zu schreiben. 2023 kam der Regisseur Chris Niemeyer dazu, Anfang 2024 war das Casting für die weibliche Hauptrolle. Die Produzent:innen von tellfilm haben mich überredet, beim Casting mitzumachen und so nahm ich, wie auch einige erfahrene Schauspielerinnen am Casting teil, sagte aber dem Regisseur und den Produzent:innen mehrmals, sie sollen sich nur für mich entscheiden, wenn sie mir die Rolle wirklich zutrauen. Der Film war mir als Gesamtprojekt immer wichtiger, als dass ich die Hauptfigur verkörpere. Aber natürlich freute mich der Zuschlag enorm.
Im Film gewähren sich Charlie und Tom eine sechsmonatige «Pause» vor der Hochzeit, um sich (sexuell) auszuleben. Glauben Sie persönlich, dass ein solches Konzept in der Realität funktionieren kann, oder ist es zum Scheitern verurteilt?
Viele Paare wollen gleichzeitig Sicherheit und totale Freiheit, und das ist eine ziemlich anspruchsvolle Gleichung. Ich finde es spannend, das als Liebesfilm umzusetzen, statt moralisch zu bewerten. Ob eine offene Beziehung funktioniert, hängt sehr vom Paar ab. Was ich sagen kann: Bei Charlie und Tom funktioniert es eher mittelmässig gut.
Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie ursprünglich alle Sexszenen streichen wollten. Was waren die Gründe dafür und was hat Sie schliesslich bewogen, sie doch im Film zu belassen? Und was war Ihnen dabei wichtig
Als ich die Zusage für die Hauptrolle bekam, habe ich realisiert: Da werde ständig ich zu sehen sein! Während des Schreibens hatte ich ja andere Menschen im Kopf. Aber ohne Sexszenen würde die Geschichte keinen Sinn mehr machen. Die Hauptfiguren wollen sich ja ausleben, auf Dates gehen, Affären und One-Night-Stands haben. Sie können sich nicht nur zum Kaffeetrinken verabreden. Also mussten die Sexszenen wieder rein.
Der Film thematisiert Zweifel und die Angst, etwas im Leben zu verpassen (Fear of Missing Out, FOMO). Wie viel von Yvonne Eisenrings eigenen Gedanken und Erfahrungen steckt in der Figur der Charlie?
Charlie ist mir sicher ähnlich und trägt Themen in sich, die mir nah sind, aber wir sind auch sehr verschieden. Ich bin deutlich schüchterner, sensibler und vorsichtiger als Charlie. Aber ihre Situation ist auch eine komplett andere: Sie ist seit fünfzehn Jahren, also seit sie 17 ist, mit dem gleichen Mann zusammen. Ich weiss nicht, wie ich wäre und ob ich Angst hätte, etwas zu verpassen, wenn ich in ihrer Situation wäre.
Max Hubacher spielt Ihren Partner Tom. Wie war die Zusammenarbeit am Set, insbesondere bei den intimeren Szenen, und wie haben Sie die Chemie zwischen Ihren Figuren entwickelt?
Mit Max zu arbeiten, ist grossartig. Er hat wahnsinnig viel Erfahrung und ist am Set immer entspannt und ruhig. Das hat mir enorm geholfen. Auch dass er sehr lustig ist. Das hat nicht meinem Spiel geholfen, aber definitiv die vielen Wartezeiten am Set verkürzt. Ich glaube, Chemie kann man nur zu einem gewissen Grad entwickeln. Ein grosser Teil ist gegeben oder eben nicht. Und dass intime Szenen funktionieren, hängt vor allem davon ab, wie sehr man seinem Spielpartner vertraut. Und das habe ich zu hundert Prozent, deshalb waren diese Szenen auch nicht besonders schwierig.
Die Zürcher Dating-Szene wird im Kontext des Films nicht nur positiv gezeigt. Was genau stört Sie daran, und wie unterscheidet sie sich von den Szenen in New York oder Paris, wo Sie ebenfalls gelebt haben?
Meine Freund:innen jammern oft, dass man in Zürich im Ausgang nie angesprochen wird. In New York und Paris kommen die Leute schneller ins Gespräch. In New York gibt es dafür viele, die sich nicht auf eine Beziehung einlassen, weil sie denken, es komme noch etwas Besseres. In Paris ist alles dramatischer, viele wollen eine Amour fou statt etwas Ernstes. In Zürich suchen die Leute eher nach einer längeren Beziehung.
Sie sind eine erfolgreiche Autorin und Podcasterin. Wie unterscheidet sich der kreative Prozess des Drehbuchschreibens im Vergleich zum Bücherschreiben oder dem Moderieren Ihrer Podcasts?
Beim Schreiben bin ich allein mit meinen Gedanken. Beim Podcast sind wir zu dritt und beim Film waren wir manchmal über hundert Personen auf dem Set. Da muss man loslassen können. Jeder Satz, jede Szene wird von anderen interpretiert. Aber genau das ist das Tolle am Film: dass eine Idee, die ich mal hatte, zu einem gemeinsamen Werk wird.
Was war die grösste Herausforderung bei der Realisierung von LOVE ROULETTE, von der ersten Idee bis zum fertigen Film?
Geduld. Wer mich kennt, weiss: Das ist nicht meine Stärke. Vom ersten Satz bis zur ersten Klappe vergingen über fünf Jahre.
Eingangs haben wir über Ihren Podcast gesprochen. Ein ähnlicher Erfolg scheint sich auch mit LOVE ROULETTE abzuzeichnen. Der Film hat das Potenzial zum ganz grossen Kassenschlager zu werden. Die Premiere war innert kürzester Zeit in allen sechs Sälen des Zürcher Kinos Frame ausverkauft. Noch bevor der Film richtig angelaufen ist, wurde bereits eine Fortsetzung angekündigt. Können Sie schon Andeutungen machen, in welche Richtung sich Charlies und Toms Geschichte weiterentwickeln wird?
Es ist tatsächlich schon ein Sequel geplant. Die erste Fassung des Drehbuchs habe ich im Anschluss an die Dreharbeiten geschrieben. Details zur Handlung kann ich aber noch nicht verraten.
Zum Schluss vielleicht die wichtigste Frage überhaupt: Der Film stellt die Frage, ob ewige Liebe wirklich das ist, was wir wollen, oder ob wir etwas verpassen, wenn wir uns festlegen. Was ist Ihre persönliche Antwort darauf, nachdem Sie sich so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben?
Wir verpassen immer etwas, egal, wie wir uns entscheiden. Wenn man sich gegen eine Beziehung entscheidet, verpasst man, wie es wäre, wenn man zusammengeblieben wäre. Ich glaube, wichtig ist, sich gut zu überlegen, was man selbst will und nicht nach Idealen und Vorstellungen anderer zu leben, sich von der Gesellschaft, den Medien oder Traditionen beeinflussen zu lassen. Liebe ist für mich auch nicht ein einmaliger Entscheid, sondern verlangt die Bereitschaft, sich immer wieder neu zu entscheiden – auch für denselben Menschen.
Yvonne Eisenring wir danken Ihnen für dieses Gespräch

