THE ZONE OF INTEREST basiert auf dem Buch von Martin Amis. In der Leinwandadaption kommen wir der Familie von Rudolf Höss (Christian Friedel), dem Kommandant von Auschwitz, sehr nahe. Mit Frau (Sandra Hüller) und Kindern hat er sich in einem Haus mit Garten ein «Traumleben» aufgebaut. Dass es direkt an die Mauer des Konzentrationslagers grenzt, akzeptieren sie mit schauriger Selbstverständlichkeit.
THE ZONE OF INTEREST
Hannah Arendt sprach von «der Banalität des Bösen» – Jonathan Glazer bringt sie auf die grosse Leinwand.
THE ZONE OF INTEREST | Synopsis
Ein hübsches grosses Haus mit einem prächtigen Garten, in dem sich die Kinder austoben können, gleich in der Nähe ein Fluss mit idyllischem Badestrand: Hedwig (Sandra Hüller) hat sich und ihrer Familie in den vergangenen drei Jahren ein prächtiges Heim geschaffen; ein kleines Paradies, das sie liebt und pflegt. Ihr Ehemann Rudolf (Christian Friedel) schätzt dabei vor allem den kurzen Arbeitsweg. Denn er ist der Kommandant des in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Konzentrationslagers Auschwitz. Eines Tages wird Rudolf befördert und soll nach Oranienburg versetzt werden – ein schwerer Schlag für Hedwig, die sich nicht vorstellen kann, ihr Heim zu verlassen. Also geht Rudolf alleine nach Oranienburg, wo er mit anderen KZ-Kommandanten logistische Details rund um die Deportation von Juden diskutiert. Zuhause kümmert sich Hedwig mit Hilfe zweier jüdischer Hausmädchen um die Kinder und den Garten und hofft, dass ihr geliebter Rudolf bald zurückkehrt.
The Zone of Interest | Weitere Stimmen
Regisseur Jonathan Glazer führt uns mit seinem Film in die heile Welt des NS-Kommandanten Rudolf Höss und seiner Familie ein, die, nur durch eine hohe Mauer getrennt, neben dem Konzentrationslager Ausschwitz wohnt. Alles ist perfekt: die Dienstmädchen (aus dem Lager), die Gesellschaft Gleichgesinnter, der wunderschöne Garten mit blühenden Rosen, die schönen Kleider (ein Pelzmantel von «drüben» wird anprobiert) und volle Teller mit üppigen Speisen.. Glazer bleibt auf dieser «schönen» Seite und baut dadurch eine unheimliche Spannung auf. Das Konzentrationslager findet nur auf der Tonspur statt: Schreie, Schüsse, Befehle und die rauchenden Kamine. Keine leichte Kost, aber wirklich sehenswert.» - Madeleine Hirsiger, arttv.ch | «‹The Zone of Interest› ist ein wunderbar montiertes Meisterwerk, fesselnd und grauenvoll und äusserst relevant für die heutige Zeit.» – Richard Lawson, Vanity Fair | «Jonathan Glazers einzigartiger Film ‹The Zone of Interest› macht das Grauen des Vernichtungslagers von seinem Rand her erfahrbar. Ein künstlerischer Triumph, der Cannes begeistert.» – Hannah Pilarczyk, Spiegel | «Das Schlimmste, was man über den Regisseur sagen kann, ist, dass er für so ein einzigartiges Talent frustrierend unproduktiv ist. Aber vielleicht sind seine Filme gerade deshalb so einzigartig.» – David Rooney, The Hollywood Reporter | «Gräueltaten oder sterbende Menschen sind in diesem Film kein einziges Mal zu sehen. Und doch ist Jonathan Glazers erster Film seit zehn Jahren schwerer verdaulich als mancher Horrorfilm. Denn die Art und Weise, wie er den Holocaust unsichtbar hinter einer spiessigen Vorortsidylle versteckt, fährt ganz schön in die Knochen. Trotz einiger Manieriertheiten im visuellen Bereich ist ‹The Zone of Interest› ein wuchtiger, verstörender und beklemmender Film, der nachhallt – und den man nicht so schnell ein zweites Mal sehen will.» – Simon Eberhard, outnow.ch | «Jonathan Glazer gelingt ein Holocaust-Film wie kein zweiter. «‹The Zone of Interest› war der wichtigste Beitrag in Cannes – auch wenn er nur den zweitwichtigsten Preis bekam.» – Andreas Scheiner, NZZ
THE ZONE OF INTEREST | Rezension
Von Doris Senn
In unaufgeregter Tonalität erzählt THE ZONE OF INTEREST vom Alltag einer Nazi-Familie, ihrem herrschaftlichen Haus, ihrem blühenden Garten. Es ist die Familie des SS-Obersturmbannführers Höss, der 1940 bis 1943 das unmittelbar ans eigene Anwesen angrenzende und nur durch eine Mauer abgetrennte KZ Auschwitz als Kommandant führte. Eine überaus groteske Metapher für das Nebeneinander von «Normalität» und Grauen im Nazi-Reich – und gleichzeitig historisch verbürgte Realität. Der englisch-jüdische Regisseur Jonathan Glazer erweckt, basierend auf dem Buch des britischen Autors Martin Amis, dies mit erschütternder Anschaulichkeit zum Leben.
Familienidyll vs. Vernichtungsmaschinerie
Der Titel des Films verdankt sich der Übersetzung des schönfärberischen Nazi-Worts «Interessengebiet», welches damals das 40 Quadratkilometer grosse Umfeld des KZ Auschwitz bezeichnete. Im Leben der Familie Höss, die ihren beschaulichen Alltag zwischen Geburtstagsfeiern und geselligen Anlässen lebt, sind die Vorgänge im KZ inexistent. Und auch wir nehmen hinter dem lauschigen Garten zwar die Mauer wahr, aber nur am Rand die rauchenden Schornsteine, vereinzelte ferne Schüsse oder Schreie. Diese oder ein mitgebrachter Pelzmantel aus dem KZ fügen sich unkommentiert ins banale Geschehen im Vordergrund.
Grossartige Schauspielleistung von Sandra Hüller
Regisseur Glazer bleibt in seiner Schilderung verhalten und lässt die Realität hinter der Mauer nur verhüllt durchscheinen. Dabei vermeidet er ebenso die grosse Emotionalität wie augenscheinliche Gewaltakte. Sandra Hüller (SISI & ICH, ANATOMIE D’UNE CHUTE) hatte sich zwar als Schauspielerin fest vorgenommen, «niemals im Leben eine Nazi-Rolle anzunehmen», konnte sich dann aber doch in die – das war für sie Bedingung – ohne jeden Glamour konzipierte Rolle der Hedwig einfühlen, die die fürsorgliche Hausfrau gibt und im Film ihrer Schwiegermutter die Azaleen, Sonnenblumen und den Kohlrabi zeigt, «den die Kinder so sehr mögen». Die geplante Versetzung ihres Mannes empfindet sie einzig deshalb als Katastrophe, weil sie ihren geliebten Garten zurücklassen müsste…
Aufwendiger Dreh am Originalschauplatz
Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Auschwitz und in einer Nachbildung des Höss-Hauses in nächster Nähe zum historischen Gebäude. Das Besondere daran war nicht zuletzt, dass Glazer mit mehreren Kameras in verschiedenen Räumen simultan drehte und die Handlungen dann ineinanderfliessen liess. Ein äusserst anspruchsvolles Unterfangen, was dem Treiben im Haus aber teils einen fast dokumentarischen Gestus verleiht.
Fazit: Insgesamt überzeugt THE ZONE OF INTEREST in seiner flach gehaltenen, ja undramatischen Dramaturgie als subtile Schilderung dessen, wie nah sich Grauen und betuliche Selbstzufriedenheit kommen können und dass wir der «Täterkultur emotional und politisch näherstehen, als wir glauben wollen», was Glazer in Anlehnung an die britisch-jüdische Philosophin Gillian Rose als prägend für die Konzipierung seines Films bezeichnete. Der Regisseur schuf THE ZONE OF INTEREST bewusst ohne Sentimentalität und augenscheinliche Gewalt, um dafür nüchtern und differenziert die Worte Hannah Arendts von der «Banalität des Bösen» auf der Leinwand zu veranschaulichen. Eine Meisterleistung.