Die polnische Bergsteigerin Wanda Rutkiewicz verblüffte die Elite der Gipfelstürmer, sie erklomm als erste Frau den Mount Everest und K2 und verschwand 1992 spurlos im Himalaya. Regisseurin Eliza Kubarska ist den Spuren einer mutigen Einzelgängerin und eines Mysteriums nachgegangen. Herausgekommen ist ein fesselnder, beherzter Dokumentarfilm, der keine Rätsel löst, wohl aber das Bild einer Machowelt von Bergsteigern beschreibt.
THE LAST EXPEDITION
Über eine Frau, die hoch und höher stieg, der männlich dominierten Alpinist:innengemeinschaft trotzte und selbst zu einer Legende wurde.
THE LAST EXPEDITION | SYNOPSIS
Wanda Rutkiewicz galt lange als berühmteste Bergsteigerin der Welt. Als erste Frau, alle 8000er zu bezwingen war ihr grosses Ziel; acht hat sie geschafft. Schon das war ein Rekord, mit dem sie auch viele Männer überholte. 1992 verschwand Wanda spurlos am Kangchendzönga in Nepal. Doch bis heute halten sich Gerüchte, sie sei noch am Leben. Der Film begibt sich im Himalaya auf Spurensuche, dort findet Regisseurin Eliza Kubarska zahlreiche Menschen, die sich lebhaft an die die Ausnahme-Bergsteigerin erinnern. Viele davon können sich vorstellen, dass sie noch lebe – wie auch Reinhold Messner.
Die Polin Eliza Kubarska ist Regisseurin, Alpinistin und Reisende. Sie absolvierte die Akademie der Bildenden Künste in Warschau und die Wajda Film School. Seit 2004 hat sie weltweit preisgekrönte Dokumentarfilme gedreht, die oft an extremen Orten entstanden sind: WHAT HAPPENED ON PAM ISLAND (2010), gedreht auf Grönland, WALKING UNDER WATER (2014), gefilmt auf den Meeren um Borneo und unter Wasser (Hot Docs Jury Prize und Special Mentions beim Los Angeles IFF und Palm Springs IFF) und K2.TOUCHING THE SKY (2015), gedreht im Karakorum und einer der meist ausgezeichneten polnischen Bergfilme der Geschichte. Seit 2008 ist sie Direktorin des Vertical Vision Film Studio. (Text: Swissfilms)
THE LAST EXPEDITION | REZENSION
Von Rolf Breiner
Ungestüm, ehrgeizig, eigenwillig, risikofreudig, stur, freiheitsdurstig – die Liste derartiger Eigenschaften liesse sich verlängern. «Sie war eine faszinierende und charismatische Person. Aber sie war auch eigensinnig und völlig unberechenbar», schrieb Gertrude Reinisch aus Steyr in Oberösterreich über sie. Die Autorin war mit ihr 1990 im Karakorum unterwegs gewesen und verfasste das Buch «Karawane der Träume» über sie. Für die polnische Filmerin Eliza Kubarska war sie eine «Ikone der freien Frau, die trotz aller Schwierigkeiten ihren eigenen Weg ging.»
Vom Ehrgeiz gepackt
Wanda Rutkiewicz, 1943 in Plunge (Litauen) geboren, in Breslau heimisch geworden, entdeckte früh das Klettern für sich. Ihr gelang als erste Frau 1973 die Winterbesteigung der Eiger-Nordwand. 1978 überwand sie als erste Europäerin den Mount Everest. Für sie gab es kein Halten mehr. 1992 hatte sie bereits acht Achttausender im Himalaja bestiegen. Ihr ehrgeiziges Ziel: Sie wollte innerhalb eines Jahres weitere sechst Achttausender erklimmen. 1992 wurde ihr Schicksalsjahr. Sie brach zusammen mit dem Alpinisten Carlos Carsolio zum 8300 Meter hohen Kangchendzönga in Nepal auf. Sie blieb wohl leicht geschwächt im Lager zurück, Carlos erreichte den Gipfel und kehrte zu ihr zurück. Vom Ehrgeiz gepackt, macht sie sich allein auf dem Weg – und ward nicht mehr gesehen.
Missgunst der Community
Die Polin Eliza Kubarska (THE WALL OF SHADOWS) hatte sich bereits 2015 mit dem Alpinismus in ihrem Film K2. TOUCHING THE SKY befasst. Das Mysterium Wanda Rutkiewicz beschäftigte sie von Jugend an. Die polnische Alpinistin war ein Star, eine Ikone und sie war ihrer Zeit voraus. Heute noch ist sie in Polen sehr bekannt, auch international war sie eine Ausnahmeerscheinung in der Welt der Alpinist:innen. Aber Männer gaben den Ton an und beargwöhnten eine Frau, die sich ihnen gleichgestellt sah und bewies, dass sie ebenso stark und fähig wie männliche Gipfelstürmer war. «Ihr Ehrgeiz wurde als Sturheit und ihre Führungsqualitäten als Streitsucht empfunden. Sie war sehr attraktiv», beschreibt die Regisseurin ihre Heldin. «Jemand sagte mir ganz offen, dass manche Männer sie lieber in ihrem Schlafsack als auf dem Gipfel des K2 sehen würden.» Regisseurin Kubarska ist solchen Aussagen und Einschätzungen nachgegangen, auch den Vorwürfen aus Bergsteigerkreisen, sie hätte im Zuge der polnischen Annapurna-Expedition 1991 den Gipfel nicht erreicht. Die falschen Vorwürfe und Verleumdungen nagten an Rutkiewicz, zerstörten ihr Image, auch wenn der Expeditionsleiter Krzysztof Wielicki sie später rehabilitiert.
Ihrer Zeit und den Männern voraus
Es gelang der Filmerin Kubarska, die selbst Bergsteigerin ist, auch Reinhold Messner zu einem Statement zu bewegen über diese Frau, die er persönlich sehr gut kannte und schätzte. So spannt sich der dokumentarische Bogen von der Kindheit bis zu ihrem Verschwinden, wobei die Frage, ob die polnische Gipfelstürmerin vielleicht doch im Verborgen in einem tibetanischen Kloster lebt, offenbleibt. Und das ist gut so. Eliza Kubarska lässt sich nicht auf Spekulationen ein. Sie bleibt bei den Fakten: Aufzeichnungen, Interviews, Videoaufnahmen von und mit Wanda Rutkiewicz, einem Audio-Tagebuch und Aussagen von Gefährt:innen wie Carlos Carsolio und Reinhold Messner, aber auch von konkurrenzierenden Alpinisten. So entstand das Bild einer Frau, die ihrer Zeit (und den Männern) voraus war, nur ein kurzes Liebesglück erlebte und ihrer persönlichen Freiheit alles unterordnete.
Fazit: THE LAST EXPEDITION beschreibt den unglaublichen Aufstieg (und Fall) der polnischen Alpinistin Wanda Rutkiewicz, die 1992 im Himalaja spurlos verschwand. Eliza Kubarskas Dokumentarfilm ist den Spuren dieser aussergewöhnlichen Gipfelstürmerin nachgegangen und beschreibt gleichzeitig eine machistische Bergsteiger-Community, die auch heute teilweise noch existiert.