In ihrem neuen Film begleitet Dokumentarfilmregisseurin Heidi Specogna eine junge Sängerin aus Addis Abeba. In der äthiopischen Hauptstadt möchte sich Nardos Wude Tesfaw als eigenständige Künstlerin mit ihrer Musik verwirklichen und sieht sich aber mit erheblichen Widerständen konfrontiert. In ständiger Reibung mit Alltagsproblemen, familiären Verpflichtungen und strenger Tradition geht sie jedoch ihren Weg.
Stand Up My Beauty
Stand Up My Beauty | Synopsis
Nardos, eine Azmari Sängerin aus Addis Abeba, hat den Traum, in ihrer Musik aus dem Leben einfacher Leute zu erzählen. Auf ihrer Suche nach Geschichten für ihre Lieder lernt sie Gennet kennen, eine Dichterin, die mit ihren Kindern auf der Strasse lebt. Während Nardos die Lebenswelten der äthiopischen Frauen, ihre Visionen und Kraft ins Zentrum ihrer Kreation rückt, tauchen wir immer tiefer in ein sich rasant änderndes Land ein.
Rezension
von Doris Senn
Sachte schiebt Nardos die Kaffeebohnen hin und her, röstet sie auf offenem Feuer, während sie ein Hochzeitslied vor sich hin summt. Die junge Mutter singt seit Kindsbeinen und ist eine begnadete Azmari – eine Sängerin traditioneller Musik aus dem äthiopischen Hochland. Die Texte sind oft improvisiert, und Nardos versteht es, mit ihrer Band allabendlich das kleine Publikum zu begeistern. Ihre Auftritte finden in einem bescheidenen «Kulturcenter» am Rand von Abbis Abeba statt. Nardos selbst lebt in einem einfachen Haus ohne fliessendes Wasser und immer mal wieder auch ohne Strom. Ihr Alltag ist angefüllt mit Proben, Auftritten, ihrem Haushalt mit Kind, dem Besuch bei Verwandten auf dem Land.
Engagement für die Frauen
Ihre Mutter schickte sie bereits mit sieben in die Stadt, um sie einer Kinderheirat zu entziehen. Weil die Tante ihr aber das Singen verbot, riss Nardos aus und verdingte sich auf Baustellen – wie viele junge Mädchen vom Land. Durch eigene Kraft schaffte sie es, die Musik zu ihrem Job zu machen und sich zu einem Star der Szene zu mausern. Heidi Specogna begleitet sie in ihrem Alltag und bei ihren Konzerten. Nardos möchte ihre eigenen Liedtexte schreiben – über die Erfahrungen von Mädchen und Frauen in diesem Land. So begegnet sie etwa der Dichterin und Strassenhändlerin Gennet, die zwangsverheiratet wurde und die nun mit ihren beiden Töchtern und ihrer Mutter in ihrer improvisierten Verkaufsbude wohnt. Der Filmtitel «Stand Up My Beauty» stammt von einem ihrer Gedichte, das Nardos zu einem Lied macht.
Patriarchales Äthiopien
Einmal mehr, schreibt Heidi Specogna, habe sie «einen losen Faden aus dem vorangegangenen Werk zum Ausgangspunkt der neuen Filmreise» genommen. So führte sie eine junge afrikanische Frau aus ihrem letzten Werk, «Cahier Africain» (2016), die «sich trotz Krieg und Trauma eine eigene Vision ihrer Zukunft bewahrt», zur Idee für «Stand Up My Beauty». Sechs Jahre lang hat die Regisseurin Nardos begleitet: sie, die von ihrem Mann – ebenfalls Musiker – kaum Unterstützung erhält, dafür nicht nur ein zweites, sondern auch noch ein drittes Kind bekommt, während er, den sie nach wie vor liebt, nach Australien entschwindet … Bittere Realität im Leben einer engagierten Frau, die nebst ihren Kindern auch noch ihre Mutter durchbringt.
Wachs und Gold
Mittels Überblendungen lässt Specogna in ihrer Langzeitbeobachtung immer wieder die «Zeit» sichtbar werden, im Kleinen wie im Grossen – etwa wenn eine alte Frau unter viel Mühsal sich die viel zu grossen Säcke auf die Schultern zu hieven sucht, bis hin zur sich rasant verändernden Stadtlandschaft. Mit grossartigen Aufnahmen (Bildgestaltung: Johann Feindt) hält Specogna das Land zwischen Armut, Tradition und Moderne fest und gibt so Einblick in die Gegenwart eines afrikanischen Landes, im dem chinesische Bauherren Wolkenkratzer hochziehen, die Männer keine Arbeit finden und die Frauen die grosse patriarchale Unterdrückung ertragen, obwohl die Gesellschaft ohne sie zusammenbrechen würde.
Fazit: «Stand Up My Beauty» gelingt das eindrückliche Porträt einer Künstlerin und eines Landes, in dem «Wachs» und «Gold» wie in den Azmari-Liedern als Poesie und Wirklichkeit, als Metapher und Erkenntnis fliessend ineinander übergehen.