Der Schweizer Regisseurin Caterina Mona gelingt es mit ihrem Sozialdrama, auf einfühlsame und doch unmittelbare Art und Weise, die Themen Migration und Integration zu behandeln. Trotzdem ist der Film zuweilen ziemlich schemenhaft. Die Geschichte von Semret ist das oft verschwiegene Schicksal zahlreicher Frauen, die auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit eine bessere Zukunft für sich und ihre Familie suchen.
Semret
«Semret» lief auf der Piazza Grande 2022 in Locarno. Ganz zu überzeugen vermag er aber nicht.
Semret | Synopsis
Semret lebt mit ihrer Tochter Joe in einer kleinen Wohnung in Zürich. Seit sie vor vielen Jahren aus Eritrea geflüchtet ist, versucht die junge Mutter ihrer vierzehnjährigen Tochter ein gutes Leben in der Schweiz zu ermöglichen. Dafür arbeitet sie im Spital und hofft, für die Hebammenausbildung zugelassen zu werden. Doch plötzlich droht das geschützte Leben, welches sie aufgebaut haben, in sich zu zerfallen. Ein entwaffnend ehrliches Filmdebüt – für die Regisseurin Caterina Mona wie auch ihre Hauptdarstellerin Lula Mebrahtu.
Interview mit Caterina Mona
von Geri Krebs
Die eritreische Community in der Schweiz ist eine ziemlich abgeschottete Gemeinschaft. Ihr Film «Semret» bewegt sich jedoch ganz selbstverständlich in dieser Community. Wie haben Sie den Zugang gefunden?
Ich wohne seit 2014 mit meiner Familie in einer Wohnung der Genossenschaftssiedlung Kalkbreite in Zürich. Von Beginn an wohnten dort auch zwei eritreische Familien mit Kindern im gleichen Alter. So war es ganz natürlich, dass wir durch die Kinder Kontakt zueinanderfanden und uns anfreundeten. Diese Begegnungen waren mit ein Auslöser für «Semret». Natürlich wusste ich aus den Medien ein paar Sachen über Eritrea und die dortige Bevölkerung. Als dann aber medial teilweise recht heftig über die in der Schweiz lebenden Leute aus Eritrea hergezogen wurde, war das für mich ein weiterer Ansporn, einmal einen Film über und mit Menschen aus diesem Land zu realisieren.
Sie haben dann das Drehbuch alleine geschrieben?
Ja, aber das war ein längerer Prozess, der sich über mehr als drei Jahre hinzog. Es war für mich in mehrerer Hinsicht Neuland, denn ich bin ursprünglich Editorin. Abgesehen von meinem 2015 entstandenen Kurzfilm «Persi» hatte ich auch noch nie Regie geführt, geschweige denn ein Drehbuch für einen langen Spielfilm geschrieben. Ich war von Beginn weg mit einer eritreischen Frau in Kontakt, mit der ich immer wieder über den Inhalt meines sprach. Zudem hatte ich in den verschiedenen Entwicklungsphasen auch jeweils erfahrene Coachs zur Seite.
In ihrem Film prallen unterschiedliche Lebenswelten aufeinander und «Semret» erinnert mich etwas an «Madly in Love» der Zürcher Regisseurin Anna Luif. Darin geht es um eine Geschichte aus der tamilischen Community. Dann gibt es noch weitere Schweizer Regisseurinnen wie Esen Işık oder Andrea Štaka, die sich mit Themen wie Parallelgesellschaften unter Migrant:innen beschäftigen. Wie sieht das bei den hier lebenden Menschen aus Eritrea aus?
Sie zielen mit Ihrer Frage wohl darauf ab, wie weit ich als Schweizer Regisseurin legitimiert bin, einen Film über das Leben von Eritreer:innen in der Schweiz zu machen. Natürlich habe ich mir diese Frage auch gestellt, aber die Realität ist momentan – noch – so, dass es leider kaum Filmemacher:innen aus Eritrea gibt. Und auch bei professionellen Schauspieler:innen sieht es ähnlich aus. Was sich bei «Semret» darin zeigt, dass die beiden erwachsenen Hauptfiguren von zwei nicht in der Schweiz lebenden professionellen Schauspieler:innen mit eritreischen Wurzeln verkörpert werden. Während Semret-Darstellerin Lula Mebrahtu eine in London lebende Schauspielerin ist, die hier in ihrer ersten Hauptrolle in einem Kinospielfilm zu sehen ist, handelt es sich bei Tedros Teclebrhan, der die männliche Hauptrolle spielt, um einen in Deutschland lebenden Schauspieler und Comedian. Unter seinem Künstlernamen Teddy Comedy füllt er mit seinem Soloprogramm seit Monaten Fussballstadien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Kürzlich trat er auch im Zürcher Hallenstadion auf. Und was die jugendlichen Darsteller:innen betrifft: Es sind alles Laien. So ist etwa Hermela Tekleab, welche die Rolle von Semrets Tochter Joe spielt, eine junge Frau aus Zürich. Sie war 15, als ich sie castete, jetzt ist sie 18 und macht eine Lehre als Dentalassistentin am Unispital Zürich.
Sie erwähnten eingangs Ihren Wohnort in der Kalkbreite-Siedlung in Zürich-Wiedikon. Im Film hat man den Eindruck, dass die meisten Locations fast vor Ihrer Haustüre liegen: Auf dem Filmplakat sind die Stadtbekannten Lochergut-Hochhäuser zu sehen. Wer die Stadt kennt, wird auch die Weststrasse, die Fritschiwiese, den Brupbacherplatz oder das Triemli-Spital erkennen. Ist «Semret» auch ein Züri-Film, ja ein Wiedikon-Film?
Sie haben recht: Die meisten Drehplätze konnte ich bequem von zu Hause aus mit dem Tram oder Bus erreichen. Allerdings war das nicht immer realistisch, denn der Dreh fand im November 2020 statt, genau während des Peaks der zweiten Corona-Welle. Wir hatten deshalb ein äusserst striktes Regime auf dem Set und hatten drei Coronabeauftragte. Diese kümmerten sich um die Einhaltung der Corona-Bestimmungen und organisierten wenn nötig die Tests vor Ort. Doch im Film sieht man nichts davon und wir konnten die Dreharbeiten auch ganz ohne Erkrankungen abschliessen. Was die Locations betrifft, so war es oft auch ein Glücksfall, dass wir wirklich dort drehen konnten, wo ich es mir schon beim Schreiben vorgestellt hatte. «Semret» spielt aber nicht in «meinem» Quartier, weil ich hier wohne, sondern weil es die Gegend ist, in der viele Menschen aus Eritrea leben. Sie haben hier Treffpunkte, so auch das Restaurant Habesha. Bei Ihrer Aufzählung der Orte liegen Sie allerdings bezüglich des Triemli-Spitals falsch, denn das Spital im Film ist das ehemalige Kantonsspital in Laufen/BL. Wir konnten dort während zwei Wochen frei drehen, weil ein Teil des Gebäudes kurz vor einem Umbau zu einem Gesundheitszentrum stand. Dank dieses Drehortes und unserem Co-Produzenten Pascal Trächslin erhielten wir auch noch Geld von der Basler Filmförderung.
Sie sind die Tochter von Tiziana Mona, der Anfang April verstorbenen bekannten Tessiner Fernsehfrau, Journalistin und Politikerin, die während einiger Jahre auch in wichtigen Funktionen für das Locarno Film Festival tätig war. Hat Ihnen dieser familiäre Hintergrund dabei geholfen, dass es «Semret» nun ins Piazza-Programm von Locarno geschafft hat?
Ich denke, dass ich von meiner Mutter vor allem die Liebe zum Kino schon von klein auf geerbt habe. Und was das Locarno Film Festival betrifft, so denke ich eher, dass es ein Vorteil ist, dass ich selber dort während vieler Jahre in diversen Funktionen tätig war. Doch Spass beiseite: Den jetzigen Direktor und die Leute, welche für die Selektion zuständig sind, kenne ich persönlich (noch) nicht. Ich bin aber dank meiner Mutter in der Filmszene schon lange gut vernetzt und hatte so sicher Möglichkeiten, die andere nicht hatten. Schlussendlich geht es aber immer darum, was man daraus macht. Und da ja meine Mutter auch eine sehr gute Journalistin war, weiss ich, dass Journalist:innen zum Abschluss gerne noch eine provokative Frage stellen. (Lacht).