Lola Arias ist Allroundkünstlerin: Schriftstellerin, Musikerin, Theaterdramaturgin und Performerin. Furore macht sie aber gerade mit ihrem zweiten Langfilm REAS, den Arias als «hybrides Musical» bezeichnet. Gedreht wurde es in Caseros, einem ehemaligen Frauengefängnis im Süden von Buenos Aires – mit ehemaligen Insass:innen.
REAS
REAS | Synopsis
Yoselis Rücken ziert ein Tattoo des Eiffelturms. Sie träumt davon, nach Paris zu reisen, doch am Flughafen wird sie wegen Drogenhandels verhaftet. Nacho ist ein Transmann, der nach einem Betrug im Gefängnis landet, wo er eine Rockband gründet. Und Noelia will einfach nicht wieder auf der Strasse landen. Ob sanftmütig oder tough, blond oder rasiert, cis oder trans, seit kurzem oder langem inhaftiert: alle spielen sie in diesem knallbunten Musical ihr Leben im Frauengefängnis von Buenos Aires nach.
REAS | Weitere Stimmen
«Lola Arias arbeitete für REAS mit ehemaligen Gefägnisinsass:innen zusammen, die ihre Geschichten neu und selbstbestimmt erzählen. Daraus ist ein ergreifender, musikalischer und unglaublich charmanter Film entstanden, der alle Konventionen sprengt.» – Pink Apple | «Arias’ Respekt für ihre Darsteller:innen zeigt sich in ihrer zurückhaltenden Inszenierung. Indem sie sie einfach glänzen lässt, vermeidet REAS sorgsam den kleinsten Hauch von Stigmatisierung dieser ansonsten marginalisierten Personen.» – Cineuropa
Rezension
Von Doris Senn
Im Zentrum stehen Cis-Frauen, Transmenschen, Nonbinäre, Lesben und Heteras, Insass:innen und Wärter:innen. Sie alle schöpfen aus ihrer Vergangenheit und ihren Erfahrungen als «reas» (Schuldige, Straftäter:innen), um mittels Spielszenen ein Reenactment ihrer Zeit im Knast zu inszenieren. Als roter Faden dient die Geschichte Yoselins, die mit einem Koffer am Flughafen festgenommen und wegen Drogenhandels verurteilt wurde. Im Gefängnis lernt sie Nacho* kennen und wird eingeführt in ein Leben auf wenigen Quadratmetern, geprägt von viel Community-Solidarität.
Zwischen Rock und Voguing
Dem Film zugrunde liegen Workshops, die Arias mit einer Choreografin in einer Strafanstalt mit aktuell Inhaftierten durchführte. Darin verhandelte sie Freiheit und Gefangenschaft, Kreativität und Solidarität in einer Zwangsgemeinschaft vor dem Hintergrund der argentinischen Gesellschaft. Weil aufgrund der Pandemie ein Dreh dort nicht möglich war, wich die Regisseurin auf Caseros aus und arbeitete für den Film mit ehemals Straffälligen. Der Clash des tristen Ambientes mit den Lebensträumen der Inhaftierten und die mit viel handgemachtem Glamour umgesetzten Musik-und-Tanz-Szenen zwischen Rock und Voguing verleihen REAS einen ganz eigenen Charme.
Postdramatisches Theater
Wo andere Gefängnisfilme in rohe Gewalt und brutale Hackordnungen ausarten, stehen hier ganz unaufgeregt die Gemeinschaft und der Zusammenhalt im Zentrum. Humor und körperbetontes Spiel der Laiendarsteller:innen paaren sich mit der Authentizität der erzählten Geschichten. Die Regisseurin reflektiert schon seit zwanzig Jahren persönliche Erfahrungen und Traumata sowie Gesellschaftspolitisches – dies vor allem auf der Bühne und in Form postdramatischen Theaters, das sie nun für den Film aufbereitet hat.
Fazit: Mit REAS gelingt Lola Arias ein leichtfüssig-humorvolles Knast-Musical mit Tiefgang. Vor dem Hintergrund authentischer Erfahrungen setzt der Film Utopien frei, die in den Traum einer Reise nach Paris oder New York, aber auch in das reale Hier und Jetzt einer solidarischen Community münden. Wer wissen möchte, was danach passiert: Lola Arias kommt mit einem neuen Stück (mit teils derselben Crew) ans nächste Theater Spektakel! LOS DIAS AFUERA erzählt, wie es ist, nach dem Gefängnis wieder Fuss zu fassen.