BAGGER DRAMA von Piet Baumgartner gewinnt am Film Festival San Sebastián den mit 50 000 Euro dotierten Preis des Wettbewerbs der «Nuevos Directores». Es ist das erste Mal in der Geschichte des Festivals, dass einem Schweizer diese Ehre zukommt. Geri Krebs hat Piet Baumgartner noch vor der Preisverleihung am Festival getroffen, der es schon da kaum glauben konnte, dass er mit «so einer kleinen, bünzligen Geschichte» in San Sebastian landen konnte. Der Preis wird ihn zusätzlich beflügeln.
Piet Baumgartner | BAGGER DRAMA
- Publiziert am 26. September 2024
«Wir erhielten dann die Antwort, sie wollten nicht mit uns arbeiten, weil in der Geschichte zwei schwule Baggerfahrer vorkommen.»
Von Bettina Oberli bis Lisa Brühlmann
Aus der Schweiz waren im Wettbewerb der Sektion NUEVOS DIRECTORES, in der Vergangenheit schon einige Filme von Regisseuren und Regisseurinnen gelaufen, die später sehr bekannt wurden. So feierten hier etwa die ersten Filme von Bettina Oberli, Simon Jaquemet, Lisa Brühlmann oder Carmen Jaquier ihre Weltpremieren. Demgegenüber ist in diesem Jahr in San Sebastián der 16 Titel umfassende Hauptwettbewerb mit den Weltpremieren der neuen Filme einiger grosser Namen besonders prominent bestückt: So zeigen in San Sebastián etwa François Ozon, Costa Gavras, Mike Leigh, Iciar Bollain oder Oscar-Preisträger Edward Berger ihre neuen Werke. Und unter den Weltstars, die mit Spezialpreisen geehrt werden, befinden sich dieses Jahr Cate Blanchett, Javier Bardem, Pedro Almodovar oder Johnny Depp. Letzterer war mit seinem neuen Film MODI, THREE DAYS ON THE WING of MADNESS übrigens am gleichen Tag in San Sebastián präsent wie Piet Baumgartner mit seinem BAGGER DRAMA.
Piet Baumgartner, Sie sind momentan sehr produktiv: 2023 feierte Ihr Dokumentarfilm THE DRIVEN ONES am Zurich Film Festival seine Weltpremiere und jetzt, nur ein knappes Jahr später, BAGGER DRAMA in San Sebastián. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe an beiden Filmen parallel gearbeitet. Das ist etwas, was man als Regisseur häufig macht. Was die Chronologie betrifft, ist die Idee zu BAGGER DRAMA sogar ein wenig älter als zu THE DRIVEN ONES. An letzterem arbeitete ich während sieben Jahren. BAGGER DRAMA findet seine Anfänge aber bereits 2015. Ich hatte im Jahr zuvor mit dem Musiker Rio Wolta das Musikvideo THROUGH MY STREET realisiert, in dem zwei Bagger miteinander tanzten. Nach dem Erfolg mit diesem Video erarbeitete ich dann 2015 in der Drehbuchwerkstatt München eine erste Drehbuchversion zu einem langen Spielfilm, in dem die Bagger eine gewisse Rolle spielen sollten. Bereits dort traf ich die Produzentin Karin Koch von Dschoint Ventschr und sie war von der Geschichte angetan, sagte mir: Das machen wir.
Wie kam es dann dazu, dass die Weltpremiere des Film nun in San Sebastián stattfand?
Ich muss gestehen, dass ich es immer noch fast nicht glauben kann, dass wir mit so einer kleinen, bünzligen Geschichte hier an diesem grossen internationalen Filmfestival landen konnten. Für mich war eigentlich immer klar: BAGGER DRAMA würde ein Film für eine Weltpremiere an den Solothurner Filmtagen sein. Es war dann die Idee meiner Produzentin, es doch auch in San Sebastián zu versuchen. Ich muss gestehen, ich kannte das Festival zuvor gar nicht, ich war auch noch nie hier in der Gegend. Und jetzt bin ich in jeder Hinsicht überwältigt: die Stadt, das Meer, das Festival das Publikum.
Sie haben von Schweizer Festivals Solothurn erwähnt. Warum nicht Locarno oder Zürich?
Locarno hat uns schon relativ früh eine Absage erteilt – und für Zürich haben wir den Film bewusst nicht eingereicht. Denn ich finde, der Film erzählt explizit eine Geschichte aus der Berner Provinz und wir hatten deshalb Bedenken, dass der Film in Zürich eher untergehen könnte.
Vorhin benutzten Sie den Begriff «bünzlige Geschichte». Wie ist das zu verstehen?
Ich meine damit, dieses Unvermögen über Gefühle zu sprechen. In einer Familie, dort, wo man sich eigentlich am nächsten ist, sollte das doch möglich sein. Stattdessen konzentriert man sich auf die Arbeit mit möglichst vielen technischen Geräten. So habe ich das jedenfalls selber erlebt. Und da die Geschichte ja in einem kleinen Ort im Kanton Bern spielt, ist das ja alles sehr lokal und ich war mir bisher gar nicht so bewusst, dass wir da offenbar etwas durchaus Universelles berührt haben mit unserem Film.
Wie viel Autobiografisches steckt im Film?
Sehr viel. Jemand hat mich schon bei der Drehbuchentwicklung mit dem Begriff Autofiktional konfrontiert?
Können Sie etwas konkreter erzählen wie weit die Geschichte mit Ihrem eigenen Leben verbunden ist?
Also, ich bin in einem Dorf von 120 Einwohnerinnen und Einwohnern im Berner Seeland aufgewachsen, meine Eltern hatten dort ein KMU mit 15 Angestellten…
Ein KMU für Bagger?
(lacht) Nein, aber für Maschinenbau. Ich kenne also diese Welt eines Familienbetriebs, in dem robuste technische Geräte im Mittelpunkt stehen, seit meiner frühesten Kindheit. Ausserdem hatte ich nach der Schule eine Lehre als Maschinenzeichner absolviert, wusste aber bereits damals: ich muss hier weg. Ich hatte in jener Zeit auch mein Coming Out und meine Eltern haben darauf so einigermassen verständnisvoll reagiert wie im Film. Und mit 20 bin ich dann auch tatsächlich weggegangen aus dieser engen Welt. Es gäbe sogar noch mehr aus meinem Leben, das Eingang in den Film fand, aber das möchte ich hier nicht ausbreiten, das ist mir zu persönlich. Ich will das alles aber auch nicht als Anklage oder Abrechnung gegen meine eigene Familie verstehen, sondern möchte mit all dem nur sagen, dass ich heute vielleicht eher fähig bin zu kommunizieren, als ich es damals in meiner Jugend auf dem Dorf war.
Wofür stehen die Bagger im Film, abgesehen davon, dass Sie 2015 bereits mit dem erwähnten Musikvideo bekannt wurden?
Meine Absicht war, in ihren Bewegungen Poesie aufscheinen und sie in gewissen Momenten menschlicher erscheinen zu lassen als die Menschen, die nicht miteinander sprechen, ihre Gefühle nicht ausdrücken können. Ausserdem habe ich in meinen Theaterarbeiten der letzten Jahre auch immer wieder mit Maschinen gearbeitet, so etwa einmal mit 200 Teekochern oder einmal mit Wurfmaschinen für Tennisbälle. Von da her sind mir Geschichten mit sich bewegenden Maschinen vertraut.
Es gibt unglaublich virtuos anmutende Szenen mit den Baggern, etwa dort wo eine Baggerschaufel den Bügelverschluss einer Bierflasche öffnet. Wurde bei derartigen Szenen digital nachgeholfen?
Ich kann Ihnen versichern: sämtliche Szenen sind real. Wir hätten gar nicht dass Budget für aufwändige digital generierte Bilder gehabt. BAGGER DRAMA ist letztendlich ein kleiner, während 26 Tagen gedrehter Film. Was die Baggerfahrer betrifft, so ist es schon so, dass ich ihre Virtuosität und Präzision bewundere, mit der sie etwa die Szenen gemeistert haben, in denen die Bagger miteinander zu tanzen scheinen. Und alle unsere Protagonist:innen – allen voran Bettina Stucky – haben eigens für den Film das Fahren mit einem Bagger gelernt, auch da gab es keine Doubles.
War es eigentlich schwierig eine Firma zu finden, die ihre fabrikneuen, glänzenden Bagger für den Film zur Verfügung stellte?
Also, wir mussten nur zwei Firmen anfragen, bis wir Erfolg hatten. Allerdings hat uns schon ziemlich erschüttert, warum uns die erste der von uns angefragten Firmen absagte: Es war klar, dass wir Ihnen eine kurze Beschreibung dessen schickten, was wir machen wollten. Wir erhielten dann die Antwort, sie wollten nicht mit uns arbeiten, weil in der Geschichte zwei schwule Baggerfahrer vorkommen.
Piet Baumgartner vielen Dank für dieses Gespräch