Regisseur Pierre Monnard taucht in seinem neuen Film «HALLO BETTY» in das Leben der Frau ein, die als Emmi Creola die legendäre Betty Bossi erfand. In unserem Interview verrät Monnard, warum die Geschichte der «Köchin der Nation» alles andere als verstaubt ist, sondern eine moderne Story über Selbstbestimmung, Work-Life-Balance und den ewigen Konflikt zwischen Schein und Sein – und warum in uns allen ein Stück Betty steckt.
Pierre Monnard | HALLO BETTY
- Publiziert am 12. November 2025
«Die 50er waren eine Zeit des Aufbruchs, aber auch der Enge. Ich wollte diese Ambivalenz zeigen.»

Mit Pierre Monnard sprach Felix Schenker, Chefredaktor arttv.ch
Pierre Monnard, Ihr neuer Film HALLO BETTY widmet sich der Schöpferin der ikonischen Schweizer Kunstfigur Betty Bossi, Emmi Creola. Was hat Sie besonders an dieser wenig bekannten wahren Geschichte fasziniert, und wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
Mich hat sofort fasziniert, dass hinter einer der bekanntesten Markenfiguren der Schweiz eine Frau stand, die fast vergessen wurde. Emmi Creola war eine Visionärin: kreativ, ehrgeizig, aber auch gefangen in den gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Zeit. Als jemand, der aus einem hundertprozentig «Betty-Haushalt» stammt, wollte ich unbedingt herausfinden, was hinter unserer Köchin der Nation steckt.
Der Film spielt in den 1950er-Jahren und thematisiert den Kampf einer Frau um ihren Platz in einer von Männern dominierten Welt – ein Thema, das auch heute noch relevant ist. Wie haben Sie die Balance zwischen einer historischen Darstellung und der Relevanz für ein modernes Publikum gefunden?
Mir war wichtig, dass der Film nicht nur nostalgisch ist, sondern auch heute berührt. Der Kampf einer Frau um Anerkennung und Selbstbestimmung ist zeitlos. Wir haben versucht, die 50er-Jahre mit viel Liebe zum Detail zu rekonstruieren, aber gleichzeitig Themen wie Gleichberechtigung, kreative Freiheit und Work-Life-Balance so zu erzählen, dass sie sich ganz modern anfühlen. Die Creolas lebten in den 1950ern fast wie ein Paar aus dem Jahr 2025 und Emmis Geschichte liest sich wie eine moderne Emanzipationsgeschichte.
Sarah Spale, mit der Sie bereits bei WILDER zusammengearbeitet haben, spielt die Hauptrolle der Emmi Creola. Inwiefern hat ihre frühere Zusammenarbeit die Dynamik am Set und die Entwicklung der Figur beeinflusst?
Die Zusammenarbeit mit Sarah ist immer ein Geschenk. Wir verstehen uns blind, was uns erlaubt, sehr tief in die Figur einzutauchen. Nach WILDER hatten wir ein grosses gegenseitiges Vertrauen, das uns half, Emmis innere Zerrissenheit sehr fein und nuanciert zu erzählen. Sarah bringt eine enorme emotionale Intelligenz mit, sie ist zugleich stark, verletzlich und humorvoll.
Emmi Creola wird hin- und hergerissen zwischen ihrem beruflichen Erfolg als fiktive Kochikone und ihren privaten Ansprüchen als Mutter und Ehefrau. Wie schwierig war es, diesen inneren Konflikt visuell und emotional darzustellen
Das war eine der grössten Herausforderungen. Emmi lebt in einer Welt voller Werbebilder und Küchenidylle, während sie innerlich kämpft. Ich wollte diese Spannung zwischen Schein und Sein sichtbar machen und zeigen, wie Emmi von unsichtbar zu sichtbar wird. Mit Spiegelungen spielen wir oft, irgendwann beginnt Emmi, sich selbst zu erkennen, oder vielleicht ist es Betty, die sie sieht. Diese Ambivalenz hat mich sehr fasziniert.
Der Film lüftet das Geheimnis um die fiktive Person Betty Bossi, die viele Leute für echt hielten. Welche Herausforderungen gab es bei der Darstellung einer Figur, die gleichzeitig real (Emmi) und fiktiv (Betty) ist?
Wir wollten, dass sich Realität und Fiktion spiegeln. Betty Bossi ist die perfekte, immer lächelnde Frau, Emmi dagegen ein Mensch mit Ecken und Kanten. Im Film steht Betty für den Traum, Emmi für die Wahrheit dahinter. Betty ist eine makellose Heldin, die alles richtig macht. Emmi hingegen macht Fehler, zweifelt, stolpert, genau wie wir. Und gerade deshalb können wir sie besser verstehen und mit ihr fühlen.
HALLO BETTY zeichnet ein buntes Sittenbild der Schweiz in den 1950er-Jahren. Welche Aspekte dieser Ära – von den Kostümen bis zum Zeitgeist – waren Ihnen bei der Umsetzung besonders wichtig?
Die 1950er waren eine Zeit des Aufbruchs, aber auch der Enge. Ich wollte diese Ambivalenz zeigen, das Aufblühen der Konsumgesellschaft, die neuen Möglichkeiten, aber auch die gesellschaftlichen Grenzen, besonders für Frauen. Kostüme, Musik und Design waren natürlich wichtig, aber entscheidend war für mich der Zeitgeist: eine Gesellschaft zwischen Fortschritt und Tradition.
Ihre Karriere umfasst erfolgreiche Kinofilme wie PLATZSPITZBABY und gefeierte Serien wie WILDER und NEUMATT. Gibt es einen grundlegenden Unterschied in Ihrem Regieansatz, je nachdem, ob Sie für die grosse Leinwand oder eine TV-Serie drehen?
Ja und nein. Im Kino habe ich mehr Zeit, eine visuelle Handschrift zu entwickeln, während Serien stärker vom Rhythmus und von den Figuren getragen werden. Aber letztlich geht es immer um Emotion, um Wahrheit und um den Blick auf die Menschen. Ich sehe beides als unterschiedliche Spielformen derselben Kunst.
Die erwähnten Produktionen zeigen die Schweiz abseits der Postkartenidylle, oft mit düsteren Stimmungen oder emotionalen Krisen. Was reizt Sie an diesen realistischeren oder düsteren Facetten der Schweiz?
Ich finde, dass gerade in den Brüchen, im Unvollkommenen, die Wahrheit liegt. Die Schweiz hat viele Gesichter, hinter der Idylle verbergen sich Konflikte, Sehnsüchte, Widersprüche. Mich interessiert, was unter der Oberfläche passiert, dort, wo es unbequem, aber menschlich wird.
Gibt es ein bestimmtes Genre oder ein Thema, das Sie in Zukunft unbedingt noch erkunden möchten, vielleicht abseits der Filme, für die Sie bekannt sind?
Science-Fiction habe ich noch nie ausprobiert, aber im Moment finde ich dieses Genre sehr spannend, weil wir alle ein bisschen das Gefühl haben, in einem Science-Fiction-Film zu leben, mit KI, virtuellen Welten und einer Gesellschaft, die sich rasant verändert. Mich interessiert dabei weniger die Technik als der Mensch darin: seine Ängste, seine Träume und die Frage, was echt bleibt, wenn sich alles um uns so schnell wandelt.
Was haben wir noch vergessen zu fragen?
Vielleicht, ob Betty Bossi vielleicht nicht doch existiert hat, und ich würde antworten: ja, irgendwie schon. In uns allen steckt ein bisschen Betty – der Wunsch, perfekt zu sein, und der Kampf, dabei man selbst zu bleiben.

