Wer bin ich? Oder wer will ich sein in einer fiktionalen Welt? Und wie viel davon übernehme ich in einer realen Welt? Diese Themen will Bürgi in seinem Film «Ale» erforschen. Durch einen Zeitungsbericht erfährt er von der Wrestlingschule in Rorbas, fährt hin und ist begeistert. Er dreht einen Film über die junge Sportlerin Ale und bringt dabei die grossen Themen des Lebens ins Spiel: Erwachsenwerden, Arbeit, Feminismus, Beziehung, Herkunft, Rassismus.
O’Neil Bürgi
Es ist eine Hommage an das Leben mit all seinen Tücken: Regisseur O'Neil Bürgi spricht im arttv Portrait von seinem Film über eine junge Wrestlerin.
O’Neil Bürgi (*1981, Arbon) schlug nach einer handwerklichen Berufsausbildung den Weg in die Film-und Medienbranche ein. Er war Videojournalist und ist seit 2001 als freier Regisseur tätig. Seine Regiearbeiten belaufen sich auf diverse Auftragsproduktionen und Eigenproduktionen im Bereich Dokumentarfilm, Fiktion, Animation und Musikvideos. Von 2015 bis 2018 absolvierte er an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich das Studium zum Gestalter HF Kommunikationsdesign mit Vertiefungsrichtung Film. Bürgi lebt und arbeitet in Frauenfeld.
Zwischen Fiktion und Wirklichkeit
«Da ist diese alte Weberei. Auf dem Dachboden steht der riesige selbstgebaute Wrestlingring. Das hat mich visuell angezogen, ich habe sofort ein dokumentarisches Narrativ gesehen. Das Sujet war klar, ich musste nur noch die Geschichte finden.» Und da kommt Alessandra ins Spiel. Thomas Heri, der Leiter der Wrestlingschule, vermittelt Kontakte. Bürgi spricht mit einigen Wrestling-Schüler*innen. Mit Alessandra hätte es gleich bei den ersten Gesprächen eine Bindung gegeben. «Ich habe gemerkt, dass Alessandra eine junge Frau ist, in deren Innern viel vorgeht. Eine Frau, die ihren Platz im Leben sucht.»
Wrestlingwelt ist auch eine Traumwelt
Alessandra ist noch neu in der Wrestlingschule. Im Training gibt sie alles. Sie macht Liegestütze, Beinarbeit, rennt Runden, schleppt Reifen, rennt das Treppenhaus hoch und runter. Schliesslich wird sie in der Gruppe aufgenommen, findet in ihren Wrestling-Kollegen so etwas wie die Familie, die ihr oft gefehlt hat. Sie beginnt sich auf einen Showkampf vorzubereiten, arbeitet an ihrem Ringcharakter. Aber eben, die Wrestlingwelt ist auch eine Traumwelt, die nicht viel mit der Realität zu tun hat. «Es ist auch eine Form von Eskapismus, eine Flucht vor der realen Welt, vor Problemen, vor Mobbing», sagt Regisseur O’Neil Bürgi, «man sieht dann auch im Film, wie sie von der realen Welt wieder eingeholt wird, bis sie gezwungen wird anzufangen richtig erwachsen zu werden.» Im zweiten Teil des Films verändert sich Alessandras Leben auf unerwartete Weise. Doch zu viel soll hier nicht verraten werden.
Kein Film über Rassismus. Jedenfalls nicht nur
In Alessandras Geschichte geht es auch um Ausgrenzung, um Mobbing. Was wohl nicht zuletzt auch rassistisch motiviert war. Laut Bürgi sei Rassismus zwar eines der Themen, aber es sei kein Film über Rassismus. «Für mich ist eine gute Geschichte nicht abhängig von Gender, Nationalität oder Hautfarbe. Trotzdem ignoriere ich die Themen nicht.» Vielmehr streife er Rassismus, Mobbing oder Feminismus, weil sie wichtig sind für Alessandras Geschichte: «Es sind alles Einzelteile und Aspekte, die ein Teil ihrer Reise sind, die sie in diesem Film macht. Darum spielt das alles mit in diesem dokumentarischen Coming of Age Narrativ.» Der Film hat eine Vielschichtigkeit, behandelt und streift verschiedene grosse und aktuelle Themen. Allerdings ohne sie zu bewerten oder zu gewichten. Das ist eine der Qualitäten des Films. Nebst dem grossen Plottwist natürlich.
Text: Samantha Zaugg