Der Londoner Makler Nicholas Winton erlebt 1938 in Prag, wie die Nazis immer näher rücken und selbst für jüdische Kinder kein Erbarmen haben. Kurzerhand organisiert er Eisenbahnzüge in seine Heimat und rettet so 669 Jungen und Mädchen das Leben. Doch er hadert mit seiner Vergangenheit, denn der letzte Zug wurde von den Nazis gestoppt … Eine herzzerreissende Geschichte nach wahren Begebenheiten.
ONE LIFE
ONE LIFE | Synopsis
Nicholas «Nicky» Winton (Johnny Flynn), ein junger Londoner Makler, rettet in den Monaten vor dem Zweiten Weltkrieg 669 Kinder vor den Nazis. Nicky besucht Prag im Dezember 1938 und findet dort Familien vor, die vor dem Aufstieg der Nazis in Deutschland und Österreich geflohen waren und unter verzweifelten Bedingungen und der unmittelbaren Bedrohung einer Nazi-Invasion leben. Ihm wird sofort klar, dass es ein Wettlauf gegen die Zeit ist: Wie viele Kinder können er und sein Team retten, bevor die Grenzen geschlossen werden? 50 Jahre später, wir schreiben das Jahr 1988, wird Nicky (Anthony Hopkins) noch immer vom Schicksal der Kinder verfolgt, die er nicht nach England in Sicherheit bringen konnte. Er macht sich Vorwürfe, nicht mehr unternommen zu haben. Doch dann gibt es ein überraschendes Wiedersehen mit einigen inzwischen erwachsenen Kindern, die ihm sein Leben verdanken.
Rezension
Von Rolf Breiner
Die Flucht ist ein Thema so alt wie die Menschheit. Sie kommt in der Bibel vor und bis heute machen sich Menschen auf den Weg, sie fliehen aus politischen, wirtschaftlichen oder puren existenziellen Gründen. 1938 begannen Schergen und Soldaten des nationalistischen Regimes unter Adolf Hitler, sich fremde Territorien anzueignen, europaweit wurden jüdische Menschen verfolgt. Für sie ging es um Leben oder Tod. Der britische Makler Nicholas Winton erlebte 1938 in Prag, wie deutsche und österreichische Familien, denen in der Tschechoslowakei Asyl gewährt wurde, erneut in Bedrängnis kamen. Nun versuchten sie, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Im wahrsten Sinn des Wortes standen die Verfolger vor der Tür. Infolge des Münchner Abkommens im September 1938 musste die Tschechoslowakei die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland abtreten. Doch das war Hitler nicht genug. Er besetzte im März 1939 die «Rest-Tschechei».
Acht Kindertransporte
Die Zeit drängte. Das wusste der 29-jährige Nicholas Winton (Johnny Flynn) und organisierte zusammen mit seiner Mutter Babette (Helena Bonham Carter), Trevor Chadwick (Alex Sharp), Doreen Warriner (Romola Garai), Leiterin des Büros des britischen Komitees für Flüchtlinge in Prag, und anderen die Flucht jüdischer Kinder. Ihr Motto: «We have to believe, that it’s possible.» Sie besorgten Papiere, suchten Pflegefamilien in England und organisierten Transportzüge, neun an der Zahl. Tatsächlich passierten acht Kindertransporte Deutschland und erreichten ihr Ziel. 669 Kinder konnten so vor KZs und dem sicheren Tod gerettet werden. Der neunte und letzte Zug wurde von den Nazis gestoppt.
Bürde und Befriedigung
Fünfzig Jahre später: Nicholas «Nicky» Winton (Anthons Hopkins) räumt auf Drängen seiner Frau Grete (Lena Olin) auf und stösst auf alte Dokumente. Darunter auch Briefe, Ausweispapiere und Fotos der Fluchtkinder. Eine Bürde trägt er seither mit sich: Warum konnte er nicht mehr Kinder retten? Seine Frau beschliesst darauf, Wintons damalige Rettungsaktion erstmals publik zu machen. «Nicky» wird zur BBC-Fernsehshow «That’s Life» als Gast eingeladen – und vor laufenden Kameras mit den durch seine Aktion gerettenen, nun erwachsenen Kindern überrascht. Er wird als «britischer Schindler» gefeiert. Die Wiederbegegnungen sind emotionaler Höhepunkt eines Films, der aufrührt und nahegeht.
Nicky’s Children
Das Drama spielt sich auf zwei Zeitebenen ab: 1938 in Prag und 50 Jahre später in England. Die Rückblenden fügen sich geschickt ineinander, bilden lebensentscheidende Momente im Leben des unscheinbaren Bürgers Winton ab, der vom nunmehr 86-jährigen Anthony Hopkins auf unnachahmlich distinguierte Art und Weise dargestellt wird. Regisseur James Hawes gelingt es subtil und schlüssig, mit der Vergangenheit «aufzuräumen». Winton, der Mann, der 669 Kinder rettete, haderte mit dem Schicksal oder vielmehr mit seiner Ohnmacht, nicht mehr Kindern die Flucht ermöglicht zu haben. Die Überlebenden, die sich im grossen TV-Finale erheben und ihn feiern, versöhnen ihn. Sie nennen sich «Nicky’s Children». Ein Fest der Freude und Tränen – auch im Kino. Der Filmtitel bezieht sich übrigens auf das hebräische Sprichwort: «Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.» Ein Leben für viele, könnte man auch sagen. In einer Nebenrolle ist übrigens die Schweizerin Marthe Keller als Gattin Betty Maxwell zu sehen, Gattin des exzentrischen Verleger-Moguls Robert Maxwell.
Der «wahre» Winton war bescheiden und hatte sich nie seiner Rettungstaten gerühmt. Er wurde von der Queen geadelt und starb im biblischen Alter von 106 Jahren. Seine Tochter Barbara hatte 2014 eine Biografie über ihren Vater verfasst: IF IT’S NOT IMPOSSIBLE: THE LIFE OF SIR NICHOLAS WINTON.
Fazit: Häufig stehen Flüchtlingsschicksale im Zentrum, doch hier ist es anders: Zentrale Figur ist der Retter. Sir Nicholas Winton hatte 669 jüdische Kinder, die vor den Nazis fliehen mussten, von Prag nach England «verfrachten» lassen. ONE LIFE ist kein Flüchtlingsfilm, sondern ein Statement für Zivilcourage und humanitäre Hilfe – mit einem grandiosen Anthony Hopkins. Ein Mensch kann die Leben vieler berühren und ein Schauspieler einem Film seinen unvergesslichen Stempel aufdrücken.