Das Erstlingswerk des jungen Regisseurs Elie Grappe schildert die Geschichte einer ambitionierten, im Schweizer Exil lebenden ukrainischen Turnerin, die zwischen zwei Welten steht. Neben dem harten Trainingsalltag wirken sich die politischen Spannungen in Olgas Heimatland zusehends auf ihr Training aus. Als die Revolution auf dem Majdan Platz in Kiew eskaliert, ist Olga auch in der Ferne mitten drin.
Olga
Olga | Synopsis
2013. Die 15-jährige talentierte ukrainische Turnerin Olga (Anastasia Budiashkina) lebt im Exil in der Schweiz. Sie tut ihr Bestes, um sich ihren Platz in der Nationalmannschaft zu sichern. Doch dann bricht in Kiew der Euromaidan-Aufstand aus, in den plötzlich alle verwickelt sind, die ihr wichtig sind. Während sich das junge Mädchen auf die Europameisterschaft vorbereitet, tritt die Revolution in ihr Leben und stellt alles auf den Kopf.
Elie Grappe studierte zehn Jahre lang klassische Musik am Nationalen Konservatorium von Lyon, bevor er von 2011 bis 2015 Kino an der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne studierte. Als Teil seines Lehrplans führte er Regie bei «Répétition». Seinem Abschluss-Kurzfilm trug den Titel «Suspendu». Beide Filme wurden von mehreren internationalen Filmfestivals ausgewählt. Danach war er Casting Director und Acting Coach für «Blaise Harrison’s film, Particles». Elie Grappes erster Langspielfilm «Olga», welcher im Nationalen Sportzentrum Magglingen gedreht wurde und so brillant von Athlet*innen des Schweizer und des ukrainischen Teams gespielt wird, wurde bei den Filmfestspielen von Cannes gelobt, wo er den Prix SACD in der Semaine de la Critique gewann. Bei den Academy Awards® stieg «Olga» für die Schweiz ins Rennen als bester internationaler Film.
Rezension
von Geri Krebs
Vor der Revolution
Es beginnt 2013 im Olympiatrainingszentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Kunstturnerinnen im Teenageralter üben an Reckstange und Barren atemberaubende Schwünge und Sprünge. Als Laie erhält man den Eindruck, diese jungen Frauen hätten die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben. Eine dieser Bewegungsvirtuosinnen ist die 15-jährige Olga, ihr Trainer sieht sie als hoffnungsvollste Teilnehmerin für die bevorstehende Europameisterschaft. In welch spannungsgeladener Zeit die junge Spitzensportlerin lebt, das zeigt sich kurz darauf in aller Deutlichkeit: Das Auto, mit dem Olgas Mutter sie vom Training abholt, wird auf der nächtlichen Heimfahrt von Unbekannten attackiert, die Scheiben gehen zu Bruch, Mutter und Tochter kommen mit dem Schrecken davon. Der Grund für den Angriff: Mutter Ilona ist Journalistin und schreibt über die Korruption der Regierung des russlandfreundlichen Präsidenten Wiktor Janukowytsch – etwas, das in diesen Spätherbsttagen des Jahres 2013 lebensgefährlich ist, denn der Präsident klammert sich mit allen Mitteln an die Macht.
Die Kämpferin
Mit sicherer Hand skizziert Elie Grappe in diesen knappen ersten Szenen seines Spielfilm-Erstlings die Zerreissprobe, in der sich die junge Titelheldin befindet. Man sieht Olga daraufhin in Magglingen, im Trainingszentrum der Schweizer Kunstturnerinnen; da ihr verstorbener Vater aus der Schweiz kam, konnte sie für einen längeren Trainingsaufenthalt in ihre unbekannte zweite Heimat reisen. Bald soll sie sich hier entscheiden, ob sie Teil der hiesigen Nationalmannschaft und Schweizerin werden will – doch die Ukraine anerkennt keine doppelte Staatsbürgerschaft. «Du bist meine Kämpferin», muntert Mutter Ilona ihre Tochter am Telefon auf, als die ihr vom Heimweh und der Überforderung erzählt, einen so folgenreichen Entscheid treffen zu müssen. Doch dann bricht Anfang 2014 in Kiew die Revolution des Euromaidan aus, die junge Kunstturnerin muss aus der Ferne auf ihrem Handy immer aufwühlendere Bilder vom Todesmut der Demonstrierenden und der brutalen Repression von Polizei und Militär mitansehen.
Hommage an den Euromaidan
Gleichzeitig werden in Magglingen die Eifersüchteleien zwischen Olga und ihren Kolleginnen heftiger – und diese verstehen immer weniger, was mit ihr los ist. Elie Grappe findet ungemein starke Bilder für diesen vielschichtigen Konflikt, den, die von Anastasia Budiashkina grandios verkörperte Hauptfigur Olga durchlebt. Das zeigt sich etwa dort, wo sie wiederholt allein auf verschneiten Pfaden Runden ihres nächtlichen Lauftrainings dreht und diese Szenen von den Geschehnissen auf dem Maidan in Kiev kontrastiert werden. Ebenso wie die anderen Kunstturnerinnen im Film ist auch Anastasia Budiashkina im echten Leben keine Schauspielerin, sondern eine professionelle Turnerin, sie war 2016 Mitglied der ukrainischen Juniorinnen-Nationalmannschaft an der europäischen Kunstturnmeisterschaft. Diese Authentizität setzt sich fort bei den eindrücklichen Bildern von der Maidan-Revolution. Elie Grappe hat hier nichts inszeniert, auch keine Nachrichtenbilder verwendet, sondern ausschliesslich Videos, die damals von den Demonstranten mit ihren Handys gefilmt worden waren. Der Abspann nennt als Quelle zehn Namen – «Olga» wird so, neben den spektakulären Szenen der Turnerinnen, seinen starken schauspielerischen und erzählerischen Qualitäten auch zur Hommage an jene mutigen Männer und Frauen, die 2013/14 für eine freie Ukraine kämpften und von denen über Hundert ihr Leben lassen mussten.
Olga | Weitere Stimmen
«[Ein] Film und ein Regietalent mit klarer cineastischer Vision und Handschrift […] Präzise, stilsicher und mit Anmut» – BAK-Jury | «Trotz einiger Story-Schwächen ist Olga ein lohnenswerter Ausflug hinter die Kulissen des Spitzensportes.» – Simon Eberhard, Outnow | «Anastasia Budiashkina ist eine grandiose Erscheinung, und der Film ist von ihrer Kraft überwältigt. Jeder, der sich über die psychischen Krisen junger Turner*innen – oder das Missbrauchspotenzial in dieser Welt – Gedanken macht, wird in ‹Olga› eine wahre Offenbarung finden.» – Fionnuala Halligan, Screen Daily