Die 1980 in Berlin geborene und in Basel aufgewachsene Marie Leuenberger ist, seit sie 2009 mit Micha Lewinskys Komödie DIE STANDESBEAMTIN ihren Durchbruch schaffte, eine der profiliertesten Schauspielerinnen ihrer Generation im deutschsprachigen Raum. Sie ist neben dem Kino häufig auch in Fernsehserien und auf Theaterbühnen präsent und auch dort sehr erfolgreich. arttv.ch hat die Schauspielerin anlässlich der Filmpremiere von MOTHER’S BABY an der Berlinale getroffen.
Marie Leuenberger | MOTHER’S BABY
- Publiziert am 21. Februar 2025
Marie Leuenbergers letzte Hauptrolle in einem Kinofilm war 2021 in BIS WIR TOT SIND ODER FREI, dem Biopic von Oliver Rihs über den «Ausbrecherkönig» Walter Stürm, in dem sie dessen Anwältin Barbara Hug spielte. Einige Jahre davor hatte sie in Petra Volpes Erfolgskomödie über das Frauenstimmrecht, DIE GÖTTLICHE ORDNUNG, als Protagonistin brilliert. Im Psychothriller MOTHER’S BABY der österreichischen Regisseurin Johanna Moder, spielt Marie Leuenberger mit ungeheurer Präsenz eine gefeierte Wiener Dirigentin, Julia, die nach der Geburt ihres ersten Kindes in eine schwere emotionale Krise gerät, dabei an allen und allem um sie herum zu zweifeln beginnt und darob den Verstand zu verlieren droht.
Das Interview mit Marie Leuenberger führte Geri Krebs
Frau Leuenberger, wie war Ihre erste Reaktion, als Sie das Drehbuch zu MOTHER’S BABY gelesen hatten?
Ich war total begeistert. Dies zum einen, weil hier so präzise geschildert wird, wie sich die Welt für eine Frau verändert, wenn sie Mutter wird. Und zum andern hat mich fasziniert, dass sich hier aus ganz normalen Alltagssituationen ein Thriller entwickelt, der es schafft, dass meine Figur an allem zu zweifeln beginnt: an sich, am Kind, an der Welt, an den Menschen ihres gesamten Umfeldes. Dabei wird man als Leserin bis zum Schluss nicht erlöst von der Spannung und rechnet dann nicht mit dem, was dann
tatsächlich kommt. Das ist ganz grosse Kunst.
Hatten Sie keinen Moment lang Zweifel, etwa, dass Ihnen diese Rolle zu heftig ist, allein schon deshalb, dass Sie ja in jeder einzelnen Szene des Films im Zentrum stehen, ja fast eine Solo-Performance zu spielen haben?
Der Eindruck von letzterem ist wohl vor allem durch den Schnitt, durch die Montage entstanden. Und was die emotionale Seit meiner Rolle betrifft, so hat mich eben gerade der permanente Zustand von Verunsicherung und Fragilität dieser Julia gereizt, da geht man als Schauspielerin extrem mit ihr mit. So etwas spiele ich gerne.
Sie haben selber zwei Kinder. Deshalb die etwas hypothetische Frage: Hätten Sie sich auch vorstellen können, diese Figur der Julia zu spielen, wenn sie selber nicht Mutter wären?
Ich finde, das Tolle an diesem Drehbuch ist ja gerade, dass ich darin Dinge wiedererkenne, an die ich als Mutter selber auch schon gedacht habe und die aber Tabuthemen sind. Da ist einerseits diese Einsamkeit nach einer Geburt und dann aber auch diese ganzen gruseligen Dinge auf der realistischen Ebene.
Welche?
Etwa das, was der Körper mit einem macht während und nach der Geburt. Und ich bin mir sicher, dass das Dinge sind, die jede Mutter kennt. Ich weiss, das ist jetzt noch keine Antwort auf Ihre Frage, aber ich kann hier halt nur als Mutter sprechen und sagen, dass ich es grossartig finde, wie das Drehbuch all diese Dinge anspricht.*
Jemand hat mir nach dem Film gesagt, für eine Frau, die selber einmal eine Fehl- oder Totgeburt erlebt hat, dürfte MOTHER’S BABY wohl kaum zu ertragen sein. Können Sie diese Einschätzung teilen?
Auch diese Frage kann ich nur teilweise beantworten. Ich möchte dazu nur anmerken, dass ich während des Drehs sehr froh war, dass ich selber einst zwei positive und gut verlaufende Geburten erlebt habe. Und ich sage «einst», weil meine beiden Kinder heute schon im fortgeschrittenen Grundschulalter sind, ich also zeitlich bereits ziemlich weit weg bin von dem, was meine Figur erlebt und erleidet. Aber ich glaube, das hat mir überhaupt erst die Freiheit gegeben, diese höchst dramatische Geburtsszene so spielen zu können wie ich sie gespielt habe. Ich wurde hier also in keiner Weise getriggert. Aber ja, Sie haben wohl recht: Für eine Frau, die so etwas selber erlebt hat, dürfte der Film schwer zu ertragen sein.
Welches war für Sie die am schwierigsten zu spielende Szene?
Vom körperlichen Einsatz und von der Logistik her, war es die Geburtsszene, denn es ist eine Plansequenz und da musste sehr viel geprobt werden, bis alles bis ins letzte Detail stimmte. Aber emotional heftiger war für mich die Schlussszene – da darf man jedoch nicht mehr verraten, das wäre voll der Spoiler…
Mich hat MOTHER’S BABY ein Stück weit an zwei Filme von Roman Polanski erinnert: REPULSION und ROSEMARIE’S BABY. Ersteren, was das Abgleiten einer Frau in die Paranoia – und letzteren, was den Horror um ein verschwundenes Baby betrifft. Kennen Sie die Filme?
Ich kenne nur ROSEMARIE’S BABY und ich finde den Film grossartig. Aber ich habe ihn mir erst vor kurzem angeschaut, also lange nach den Dreharbeiten zu unserem Film. Ich würde behaupten, MOTHER’S BABY beginnt dort, wo ROSEMARIE’S BABY aufhört. Aber ich verstehe es durchaus, dass man Parallelen ziehen kann zwischen den beiden Filmen. Natürlich hatte ich schon öfter von Polanskis Horrorklassiker gehört und davon, dass er sehr gruselig sei. Ich habe durchaus ein Flair für dieses Genre, aber es war dann ein bewusster Entscheid, ihn mir erst nach unserem Dreh anzusehen, denn ich wollte völlig unbeeinflusst an meine Rolle herangehen.