«Wer bist du?» – «Die Punkkönigin im Land der Arschlöcher». Für sein authentisches Sozialdrama arbeitete der Genfer Regisseur Fred Baillif mit Bewohnerinnen und dem Leitungsteam eines echten Heims zusammen. Die jungen Frauen schrieben am Drehbuch mit. Es sind Schilderungen von Mädchen, die trotz Schicksalsschlägen vor Temperament und Lebenshunger strotzen. «La Mif» hat gute Chancen auf die Auszeichnung mit einem Quarz, er ist sechs Mal in fünf Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert.
La Mif
«In den letzten Jahren haben sich mehrere Frauen, die sexuellen Missbrauch erlitten haben, mir gegenüber geöffnet. Angetrieben von dem Wunsch, sozial engagierte Filme zu machen, sammelte ich ihre Aussagen um sie als Grundlage für dieses Projekt zu nutzen. Eines der Themen tauchte immer wieder auf: die Verleugnung der Angehörigen des Opfers, die sich so zu Komplizen machten. … Als Basketballspieler war ich ein Point Guard. Meine Aufgabe war es, meinen Mitspielern zu helfen, besser zu spielen. Das ist genau das, was ich heute als Filmregisseur versuche. Meine Mitspieler sind Laienschauspieler, und meine Aufgabe ist es, ihnen dabei zu helfen, das auszudrücken, was sie manchmal lange Zeit verbergen.» Fred Baillif
La Mif | Die Synopsis
Eine Gruppe Mädchen lebt im Heim, in einer Gemeinschaft, wie sie sie bisher nicht kannten. Ohne Krisen und Konflikte geht nichts, dafür sind die Temperamente der jungen Frauen zu verschieden, ihr Lebenshunger zu gross und ihr Platz in der Gesellschaft zu prekär. Heimleiterin Lora ist immer für sie da, oder ist es umgekehrt? Dann bringt ein Zwischenfall das Pulverfass zum Explodieren und zeigt gravierende Mängel im Jugendschutzsystem auf.
La Mif | Die Stimmen
«Ein impulsives, ungehemmtes Sozialdrama.» – NZZ, Berlinale 2021 | «Eine herzzerreissende und zutiefst einfühlsame Beobachtung, welche die rohen Emotionen der Figuren aufgreift.» – Variety, Berlinale 2021 | «Wie ein rauschender, energiegeladener, pulsierender Herzschlag treibt dieser Film seine Figuren und die Zuschauer:innen mit schonungsloser Ehrlichkeit durch verschiedene, klug miteinander verwobene Geschichten und Ereignisse. Getragen wird er dabei von fesselnden und intensiven schauspielerischen Leistungen und hält stets seine Balance zwischen Stärke und Verletzlichkeit. Dieser Film entwickelt einen Sog, lässt einen nicht mehr los und trifft mitten ins Herz.» – Jurybericht Berlinale 2021
La Mif | Der Regisseur
Spannender Werdegang; Nach einer 7-jährigen Karriere als professioneller Basketballspieler und Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft schrieb sich Fred Baillif 1997 an der Hochschule für Soziale Arbeit in Genf ein. Er schloss sein Studium im Jahr 2000 ab und fand eine Stelle als Sozialarbeiter in einer Jugendstrafanstalt. Sein Traum war es jedoch, Filme zu machen und DJ zu werden. Er zog sich vom Basketball zurück und zog nach New York, wo er als Produktionsassistent arbeitete, nachts legte er in legendären Bars wie Frank’s Lounge und Madame X in Brooklyn auf. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz drehte er seinen ersten Dokumentarfilm «Sideman» über den Schweizer Mundharmonikaspieler Grégoire Maret, der in New York lebt. Er verkaufte die Rechte an den Schweizer Fernsehsender RTS und begann als Streetworker für die Stadt Genf zu arbeiten. Während seiner Arbeit stellte er fest, dass ein Film über den Geisendorfer Park gedreht werden sollte, wo Jugendliche die Bevölkerung, insbesondere die LGBTQ+ Gemeinschaft, terrorisierten. Er kündigte seinen Job und fand einen Produzenten für das neue Dokumentarfilmprojekt. «Geisendorf» gewann 2006 den Preis für den besten Dokumentarfilm beim «Visions du Réel». Baillif drehte in den folgenden zehn Jahren Filme wie «Le Fond et La Forme», «La Vie en Deux», «Believers» für Canal + und «As Long as It Rains in America», einen in Äthiopien gedrehten Dokumentarfilm. Er arbeitete auch für das RTS-Programm Temps Présent, bevor er 2010 seinen ersten Spielfilm drehte: «Tapis Rouge», ein No-Budget-Film, der mit Jugendlichen aus den Lausanner Vorstädten realisiert wurde. Der Film wurde unter anderem mit dem GIFF Best Feature Award ausgezeichnet. 2017 drehte er seinen zweiten Spielfilm, «Edelweiss Revolution», eine Komödie mit Profis wie Jean-Luc Bideau und Irène Jacob neben Laiendarstellern. Der Schweizer Regisseur hatte zuvor eine eigene Regietechnik für nicht-professionelle Schauspieler*innen entwickelt.