So mancher versteckte sein Heroin neben den Torah-Versen im Kopf-Tefillah. Nun versuchen sie im Kosher Rehab Jerusalems ihrer Sucht zu entkommen, der sie als Söhne chassidischer US-Familien verfallen waren. Eric aus Cleveland, hat den Entzug geschafft und das Rehab gegründet. Er versucht Geld in der jüdischen Orthodoxie zu sammeln, die jedoch nichts von Drogenproblemen wissen will. Eric weiss es besser. Einer seiner Patienten hat zwölf Geschwister, fünf davon sind drogensüchtig.
Kosher Rehab
- Publiziert am 24. Mai 2022
Ein Blick hinter die Kulissen einer koscheren Entzugsanstalt eröffnet gleichzeitig eine ungeschminkte Sicht auf eine geleugnete Tragödie.
Anna Oliker kam 1967 in Russland zur Welt und emigrierte nach Israel und dann weiter nach Amerika. Der Film «Kosher Rehab», bei dem sie Regie führte, hatte 2021 am Jerusalem Film Festival Premiere. Oliker ist Mitglied der ultra-orthodoxen Gemeinde in Jerusalem und ist Mutter von fünf Kindern.
Interview mit der Regisseurin Anna Oliker
von Doris Senn
Anna Oliker, Sie begleiten Ihren Film «Kosher Rehab» zum Yesh!-Filmfestival in Zürich. Wie kam es zu diesem Porträt über ein Drogen-Rehab für chassidische Jugendliche in Jerusalem?
Vor vier Jahren starb in meiner orthodoxen Nachbarschaft eine 16-Jährige an einer Überdosis. Sie stammte aus einer netten Familie – alle waren geschockt. Dasselbe passierte wenig später erneut, wieder war es ein orthodoxes Mädchen … Gleichzeitig recherchierte eine befreundete Journalistin für einen Artikel in der «Jerusalem Post» über die versteckte Drogenepidemie in der orthodoxen Gemeinde. Ich wollte mehr darüber erfahren – nicht zuletzt aus Sorge um meine eigenen Kinder – und habe meine Freundin zu einem Interview mit Eric Levitz begleitet, dem «Boss» des AZ House, das im Zentrum meines Films steht.
Wie verlief Ihre erste Begegnung dort?
Als ich in Erics Haus kam, fiel mir zuallererst auf, dass er mehr oder weniger allein dort wohnte mit den Jungs. Ich fragte: Wo sind denn deine Helfer, Berater, Psychologen? Und er: Es gibt keine! Aber wie machst du das mit den Behörden, wenn du kein Hebräisch sprichst?, wollte ich wissen – Eric stammt aus Cleveland. Das Haus wird einzig durch Spenden finanziert. So bot ich ihm an zu helfen: als Anwältin oder indem ich ein Video machen würde fürs Fundraising. Daraus entstand dann der Film. Die Jugendlichen in seinem «House» kommen aus orthodoxen Familien, sie sind nicht wirklich vorbereitet für eine andere Welt. Wenn sie zu Eric kommen, haben sie in der Regel keinen anderen Ausweg mehr – einzig den Willen, es besser zu machen, eine bessere Person zu werden. Ich selbst wurde erst mit 24 Jahren orthodox, bin in Russland geboren, wurde säkular erzogen, ging nach Amerika und lebe heute in Jerusalem. Ich weiss, was es heisst, anders zu sein oder gemobbt zu werden. Diese Jugendlichen wachsen auf mit vielen Fragen – und mit diesen gehen sie raus, auf die Strasse. Und dort ist es für sie wirklich gefährlich: Sie finden Heroin, Fethanyl-Pflaster, Methadon – und natürlich Alkohol. Und das alles sehr billig. Sind sie obdachlos, weil sie von ihrer Familie ausgeschlossen wurden, finden sie dort auch Anschluss und Freunde in derselben Situation, wie sie.
Wie kommt es, dass Eric, der selbst drogenabhängig war und ursprünglich aus Cleveland stammt, sein Rehab ausgerechnet in Jerusalem führt?
Eric kam mit «Birthright» nach Jerusalem – eine Art Bildungseinrichtung, die jungen jüdischen Erwachsenen in aller Welt die Reise nach Israel ermöglicht. Eric traf bei einem Sabbat-Dinner einen Chassidim, dessen Sohn ein Jahr zuvor durch Heroin ums Leben kam. Eric wollte zuerst gar nicht glauben, dass dieses Problem in der orthodoxen Community existierte – doch dann bot ihm dieser Mann an, ihn bei einer Einrichtung für Drogenabhängige zu unterstützen. Innert weniger Monate war das Haus voll und wird nun von jungen Männern aus Brooklyn, Lakewood oder Queens, aber auch aus Israel bewohnt!
Ist denn das Drogenproblem grösser in der orthodoxen Gemeinde als in der übrigen Gesellschaft?
Ich glaube nicht, aber natürlich hat die Pandemie die Dinge verschärft und die Zahlen exponentiell in die Höhe schiessen lassen. Zudem hat eine religiöse Familie im unmittelbaren Umfeld niemanden, an den sie sich wenden könnte: Hat deine Tochter, dein Sohn ein solches Problem, wird niemand mehr seine Kinder zu dir schicken. Ganz zu schweigen vom Verheiraten – und du hast ja sicher noch andere Kinder … Deshalb werden drogenabhängige Kinder nicht selten aus der Familie verstossen.
Was für eine Therapie verfolgt Eric in seiner Einrichtung?
Erics Modell basiert auf dem 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker und funktioniert ohne jegliche Therapeuten, Sozialarbeiter oder Putzpersonal. Im Zentrum stehen Selbstdisziplin und Selbstverantwortung, die Jungs müssen das Haus selbst in Schuss halten, was ihnen gleichzeitig eine Tagesstruktur gibt. Es gibt jeden Tag Gruppengespräche, die zur Selbstreflexion anregen sollen, und nach rund drei Monaten müssen sie sich einen Job suchen. Niemand bezahlt für sie – sie müssen sich ihren Unterhalt selbst verdienen! In anderen Kliniken, wo ein Monat zwischen 20’000 und 30’000 Dollar kostet, bleiben sie ein Jahr – und werden dann ohne jegliche Vorbereitung wieder in die Welt geschickt. Die Zahlen sprechen für sich: Eric hat mit seinem Modell einen Genesungsgrad von 50 Prozent, normale Rehab-Kliniken einen von 5 Prozent.
Wie lange haben Sie das Projekt begleitet?
Rund drei Jahre war ich dort mehrmals die Woche zum Filmen. Ein paar der Jungs habe ich die ganze Zeit auf ihrer «Reise» begleitet. Ich hatte letztlich rund 280 Stunden Material! Das Ganze während des Editings auf eine Stunde runterzubringen, war ein richtiggehendes «Gemetzel»! (lacht)
Was waren die grössten Schwierigkeiten während des Drehs?
Leuten, denen ich erzählt habe, dass ich einen Film über ein Rehab für Männer drehe, meinten: Du musst total verrückt sein! Aber ich habe bislang nur zwei Filme gedreht: Mein erster Film, «The Unrecognized», handelte von einem Beduinendorf – ein Dorf, beherrscht von Drogendealern, wo ich mich allein unter Männern bewegte und in das sich weder die Polizei noch die Armee vorwagte. Im Vergleich dazu war «Kosher Rehab» ein Klacks. Aber das Schwierigste dabei war wohl, so viel Schmerz zu sehen – und nicht die ganze Zeit zu fragen: Was kann ich tun, damit es dir besser geht?
Ihr nächstes Projekt?
Am liebsten würde ich aus all dem verbliebenen Material von «Kosher Rehab» eine Serie drehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich noch nicht abgeschlossen habe mit dem Thema. Ich bin immer noch in Kontakt mit den Jungs – es ist also auch eine Art Herzenssache.