«Blackbird Blackbird Blackberry» hat es direkt nach Cannes in die «Sélectionné à la Quinzaine geschafft, jetzt ist er auch auf dem Zürich Film Festival im «Fokus Wettbewerb» zu sehen. Das Drama spielt in einem georgischen Dorf, in dem die 50-jährige Ehero einen Lebensmittelladen betreibt. Ihr Leben wird auf den Kopf gestellt, als sie sich in einen Lieferanten verliebt. Elene Naveriani über ihren Film und warum es they wichtig war, marginalisierte Frauenkörper auf der Leinwand zu zeigen.
Interview Elene Naveriani | BLACKBIRD BLACKBIRD BLACKBERRY
- Publiziert am 16. Juni 2023
Elene Naveriani studierte Malerei an der State Academy of Art in Tiflis. Im Jahr 2011 schloss sie ihren Master in kuratorisch-kritischen Cybermedia-Studien ab, 2014 ihren Bachelor in Bereich Film an der Haute école d’art et de design in Genf. Ihr erster Spielfilm «I Am Truly a Drop of Sun on Earth» wurde am IFFR uraufgeführt und bei den Festivals Entrevues in Belfort und in Valladolid ausgezeichnet. «Wet Sand» feierte seine Premiere in Locarno, wo er den Pardo für den besten Schauspieler gewann.
Ein Interview mit Elene Naveriani
Von Lliana Doudot
«Blackbird Blackbird Blackberry» ist der dritter Spielfilm. Was hat Sie dazu inspiriert, die Geschichte von Ehero zu verfilmen?
Ausgangspunkt war ein Roman von Tamta Melashvili, sie ist eine georgische feministische Autorin. Ihr Buch, das 2021 erschien, hat mich von der ersten Seite in die Geschichte hineingezogen. Ich hatte das ganz besondere Gefühl, dass diese Geschichte von mir verlangte, sie in einen Film zu «übersetzen». Das war mein Ausgangspunkt. Ich war beeindruckt von der Kraft der Hauptfigur und wie sie sich gegen das patriarchale System wehrt. Ich mochte ihre Widersprüchlichkeit: Sie hält sich an die Regeln, weiss aber, dass sie nicht reinpasst. Es gelingt ihr auszubrechen und sich zu emanzipieren.
Woher kommt der Titel «Blackbird Blackbird Blackberry»?
Ich habe den Buchtitel beibehalten, da mir die Wortwiederholung gefällt, sie steht für etwas Wesentliches. Eheros liebt Brombeeren über alles und pflückt sie am Fluss, als sie eine Amsel sieht. Diese Begegnung verändert vieles, denn als sie den Vogel bewundert, stürzt sie fast in eine Schlucht. Nach diesem Ereignis ist ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Es gibt auch eine eher metaphorische Bedeutung: Die Amsel ist der einzige Vogel, den man nicht zähmen, nicht in einem Käfig halten kann, weil er ständig versucht zu entkommen. Auch Eheros ist ein freier Vogel, deshalb ist die Amsel wichtig.
Haben Sie der Buchversion persönliche Elemente hinzugefügt?
Der Roman ist wie ein Monolog geschrieben. Ehero spricht über sich und denkt dabei auch über die Gesellschaft nach. Es war eine sehr interessante und komplexe Aufgabe, ihn in eine Filmfigur zu verwandeln. Ich musste mich auf die wichtigsten Gedankenzüge beschränken. Ich wollte zeigen, wie ihre Figur im Laufe des Films minimale und sehr subtile Veränderungen durchläuft, wie sie immer stärker wird und sich letztlich befreit.
Ethero ist ein einsamer Charakter, der sich aber nicht alleine fühlt. Als sie jedoch ihre Affäre anfängt, steht sie vor dem Dilemma, ob sie unabhängig bleiben oder sich auf einen jungen Mann einlassen soll. Glauben Sie, dass Sie eine Situation geschildert haben, mit der sich viele Frauen heute identifizieren können?
Es stimmt, dass sie sich nie einsam fühlt. Es ist ihre Entscheidung, allein zu sein und sie hält an dieser Entscheidung fest. Es ist daher sehr schwer für sie, ihre Freiheit aufzugeben. Auch wenn es nicht so ist, dass sie nicht mit jemandem zusammen sein will. Sie will einfach nicht ein Muster reproduzieren, gegen das sie sich wehrt. Grundsätzlich müssen wir unsere Entscheidungen so treffen, dass wir wahrhaftig und ehrlich zu uns selbst sind. Und genau das tut sie, auch wenn es schwierig ist.
Die anderen Frauen im Dorf sind sehr hart und verletzend zu Ehero. In vielen aktuellen Filmen ist dagegen oft vom Zusammenhalt unter Frauen die Rede …
Das stimmt, leider verhalten sich die Frauen nicht solidarisch. Aber die Frauen des Dorfes realisieren, dass sie nur sich selbst haben, um zu überleben. Und das ist der Unterschied zwischen Ehero und den anderen. Sie nehmen andere Rollen ein und sind stärker im patriarchalen Denken gefangen. Auch wollen sie ihre unglücklichen Ehen rechtfertigen. Ehero stellt eine Bedrohung für sie dar. Eigentlich beneiden sie Ehero und wollen so sein wie sie, können es aber nicht.
Wie haben Sie die Schauspielerin Eka Chavleishvili gefunden, die in der Rolle der Ehero zwischen Stärke und Sanftheit wunderschön wirkt?
Ich hatte bereits während meines letzten Films mit ihr zusammengearbeitet und kannte sie. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, wusste ich sofort, dass es für sie geschrieben worden war. Wenn sie spielt, strahlt sie diese Energie und Intuition aus, die bei der Figur im Roman sehr präsent sind. Sie hat diese Qualitäten auch im wirklichen Leben. Sie ist eine sehr grossherzige Schauspielerin und vor allem eine, die zuhört.
Der Film erzählt eine sinnliche Geschichte. Nacktheit spielt auf der Leinwand eine wichtige Rolle. Wie waren die Dreharbeiten?
Die Nacktheit war während der Dreharbeiten kein Problem. Eka hat sich nie dagegen gewehrt. Allerdings gab es Momente, in denen ich sehr genau erklären musste, was ich will. Man arbeitet immerhin mit einem Menschen, auch wenn es sich um eine Schauspielerin oder einen Schauspieler handelt. Es muss also sehr einvernehmlich sein und alle müssen an das glauben, was sie tun, sonst ist die Nacktheit nur um der Nacktheit willen da. Wenn jeder seinen Körper und seine Rolle sehr klar versteht, wird es nicht nur zu zwei Menschen, die auf der Leinwand Sex haben, sondern zu etwas viel Grösserem.
Die Körper, die Sie filmen, sind normalerweise selten auf der Leinwand zu sehen, da sie aus der Norm fallen. War es Ihr Ziel, marginalisierte Körper zu zeigen?
Ja. Die derzeitige Darstellung von Frauen, sei es im Film oder anderswo, langweilt mich sehr. Wir müssen wirklich versuchen, diese Schönheitsideale zu durchbrechen. Im Roman steckt Ehero in einer Art Fremdkörper. Für die Hauptfigur im Film entschied ich mich daher, das Gleiche zu vermitteln. In meinem Film kommt darum ein Körper zu Wort, den man im Kino nicht sehr oft sieht.
Sie leben die Hälfte der Zeit in Georgien und die andere Hälfte in der Schweiz und haben die HEAD in Genf absolviert. Sie wurden mehrfach für den Schweizer Filmpreis nominiert. Welche Rolle spielt der Schweizer Film für Sie?
Ich denke, dass alle Arten von Kino inspirieren können, es ist keine Frage des Landes. Es ist der Ort, an dem man sich befindet. Aber ich bin schon sehr lange in der Schweiz und habe tatsächlich hier angefangen, Filme zu drehen. Mein erster Film wurde in der Schweiz gedreht, auch wenn er von Georgien handelte.