Auf berührende Weise erzählt Regisseur Walter Salles die wahre Geschichte der Familie Pavia, bei der er als Kind ein- und ausging. Sein zutiefst humanistischer Film ist eine Liebeserklärung ans demokratische Brasilien und eine Verneigung vor jenen, die einst gegen das Unrecht der Diktatur kämpften. Fernanda Torres wurde bei den Golden Globe Awards 2025 als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
I’M STILL HERE
I’M STILL HERE | SYNOPSIS
Brasilien, 1971: Der ehemalige linke Kongressabgeordnete Rubens Pavia lebt mit seiner Familie den Lifestyle der 1970er-Jahre im pulsierenden Rio de Janeiro. Doch wirkt sich die Militärdiktatur immer mehr auf ihren Alltag aus. Eines Tages wird Rubens von Schergen verschleppt und verschwindet. Seine Familie weiss nicht, ob er noch am Leben ist. Eunice (Fernanda Torres), seine Ehefrau, begibt sich auf die Suche nach ihrem Mann und versucht beharrlich herauszufinden, was mit ihm passiert ist.
I’M STILL HERE | STIMMEN
«Regisseur Walter Salles übertreibt es ein wenig mit der guten Laune der Familie und unterstreicht den Sonnenschein, so dass wir den kalten Regen noch stärker spüren, wenn er fällt.» – The Guardian | «Es ist die Tragödie, die in Torres’ unglaublicher Darbietung zu spüren ist, die im Mittelpunkt von Walter Salles’ fesselndem Historiendrama I’M STILL HERE steht.» – Roger Ebert | «I’M STILL HERE porträtiert eine systematische psychische Folter eines repressiven Systems, Familienmitglieder ohne irgendeine Information verschwinden zu lassen und die Hinterbliebenen vielleicht ein Leben lang im Dunkeln tappen zu lassen.» – Kino-Zeit
Rezension
Von Ondine Perier
Walter Salles kehrt mit einem ergreifenden Drama zurück, das auf wahren Begebenheiten beruht. Der Film begleitet die Ehefrau und Mutter Eunice Pavias (Fernanda Torres). Sie begibt sich auf die Suche nach den wahren Gründen für das Verschwinden ihres Mannes Rubens Pavia, einem ehemaligen brasilianischen Parlamentsabgeordneten. Die Geschichte ist vor dem düsteren Hintergrund der brasilianischen Militärdiktatur angesiedelt und vermischt Familiendrama, Widerstandsfähigkeit und die Suche nach Gerechtigkeit.
Ein Familien- und politisches Fresko
I’M STILL HERE erkundet auf emotionale Weise den Alltag der Pavias, einer glücklichen und modernen Familie. Mithilfe von Archivmaterial, mit dem Camcorder gedrehten Szenen und sorgfältigen Rekonstruktionen versetzt uns der Film in die 1970er-Jahre. Diese ästhetischen Entscheidungen verleihen der Erzählung eine greifbare Authentizität. Das geräumige Haus der Pavias in Rio de Janeiro ist gefüllt mit Erinnerungen, Fotos und Videos, die von ihrer Einheit und Liebe zeugen. Doch dann stellt Rubens’ brutale Verhaftung alles auf den Kopf. Der Film hebt die zentrale Bedeutung der Familie und der sozialen Bindungen für das psychologische Überleben im Angesicht von Ungerechtigkeit hervor. Die fünf Pavia-Kinder, jedes mit einer liebenswerten Persönlichkeit, symbolisieren die Hoffnung und die Stärke einer mutigen Mutter. Die Haushälterin, eine diskrete, aber wesentliche Figur, verkörpert die warmherzige Unterstützung, die Eunice hilft, die Prüfungen zu bestehen. Walter Salles schildert feinfühlig, wie sich Rubens’ Verschwinden auf seine Angehörigen auswirkt, ihren Alltag erschüttert und gleichzeitig ihre Solidarität stärkt.
Das Porträt einer aussergewöhnlichen Frau
Fernanda Torres liefert eine meisterhafte Leistung als Eunice Pavia. Sie ist eine Frau, die entschlossen ist, das Andenken an ihren Mann nicht durch die Ungerechtigkeiten der Diktatur auslöschen zu lassen. Die nüchtern gedrehten Szenen psychologischer Folter zeigen die Unterdrückung, die sie in der Haft erleiden muss, aber auch ihre Widerstandskraft. Weit davon entfernt, sich mit dem Schmerz abzufinden, entschied sie sich im Alter von über 45 Jahren für die Wiederaufnahme eines Jurastudiums. Denn sie wollte zu einer Figur werden, die sich für die Rechte der Ureinwohner einsetzt und mit Organisationen wie den Vereinten Nationen zusammenarbeitet. Das Drehbuch und die Inszenierung ehren Eunices Werdegang, ohne in Pathos zu verfallen. Für ihr nüchternes Spiel – das eine verblüffende Ähnlichkeit mit der realen Person aufweist – erhielt sie einen wohlverdienten Golden Globe. Unter der Regie von Walter Salles wird Eunice Pavia zu einem universellen Symbol für Mut und Entschlossenheit.
Fazit: I’M STILL HERE ist ein Hauptwerk von Walter Salles, das die kleine und grosse Geschichte in einem intimen und universellen Fresko versöhnt. Der Film entführt uns in ein helles und zugleich düsteres Brasilien, wo Familie, Liebe und Resilienz über alle Widrigkeiten triumphieren. Mit einer sorgfältigen Inszenierung, einer blendenden Besetzung und einer hoffnungsvollen Botschaft erweist er sich als eine Ode an das Durchhaltevermögen und die Gerechtigkeit. Wenn man den Kinosaal verlässt, ist man gerührt, inspiriert und dankbar für alle, die wie Eunice für die Wahrheit kämpfen.