Der Fall der Kindsmörderin Frieda erschütterte 1904 die Schweiz. Basierend auf wahren Begebenheiten fächert Regisseurin Maria Brendle ein spannendes Gesellschaftsdrama um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit auf, das zu Reformen in der Justiz führte. In der Hauptrolle überzeugt die charismatische Newcomerin Julia Buchmann.
FRIEDAS FALL
FRIEDAS FALL | SYNOPSIS
1904 steht in St. Gallen die 25-jährige Näherin Frieda vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, ihr uneheliches Kind getötet zu haben. Doch stimmt das auch wirklich? Und wie viel Opfer steckt in der mutmasslichen Täterin? Der Fall ruft Anwälte, Presse und Zivilgesellschaft auf den Plan, die sich darüber streiten, wie viele Rechte einer Frau überhaupt zustehen.
FRIEDAS FALL | REZENSION
von Madeleine Hirsiger
Frieda Keller, 25 Jahre alt, ist tief gefallen. Sie hat ihren 5-jährigen Sohn Ernstli im Wald ermordet. Die mittellose Näherin wird zu einem Fall für die Justiz, für das Rechtssystem, für die Gesellschaft. Wir schreiben das Jahr 1904.
Grosse Schlagzeilen in der Zeitung. Ein toter Bub, man weiss nicht, um wen es sich handelt. Es ist eine Ordensfrau von der Kinderbewahranstalt Tempelacker, die die Kleider des Kindes identifizieren kann. Zwei Polizisten gehen zu Frieda Keller, um ihr mitzuteilen, dass ihr Sohn tot ist. Sie kommen aber nicht soweit. Frieda gesteht sofort «I bis gsi». Sie hat ihr Kind mit einer Schnur erwürgt.
Ein menschliches Drama nimmt seinen Lauf
Eine Klammer hält dieses menschliche Drama zusammen: Frieda Keller, mit abgeschnittenen Haaren und einem beigen Hemd bekleidet, vor dem Staatsanwalt. «Sie müssen mit mir reden! Was ist im Wald oben passiert.» Frieda redet nicht. In ihrer Zelle, die sich im Keller des stattlichen Hauses des Staatsanwalts befindet, wartet sie auf ihren Prozess.
In der Stadt St. Gallen gibt es nur noch ein Thema: die Mörderin Frieda, die kaltblütig ihren Sohn stranguliert hat. Der Ernstli ist ein uneheliches Kind. Also ist sie eine Hure, eine Schlampe, die nichts anderes als eine harte Strafe verdient.
Es ist Erna, die Frau des Staatsanwaltes, die menschlich mit Frieda umgeht, die sie immer wieder in der Zelle besucht, zu ihr steht, ihr auch Arbeit bringt, denn Frieda ist eine begnadete Näherin. In der Schneiderei, in der sie vor ihrer Festnahme gearbeitet hatte, war sie hoch geschätzt.
Erna ist der Gegenpool zur kalten Männerwelt. Letztere hält sich stur an die Gesetze, will nicht wissen, wie Frieda zu einer solchen Tat fähig war. Friedas unerträgliches Kopfweh, das von einer frühen Hirnhautentzündung herrührt, interessiert die Herren genauso wenig wie die ärmliche Herkunft der jungen Frau, der frühe Tod ihres Vaters und ihrer Mutter und die Ächtung, die Frieda wegen ihrem unehelichen Kind erdulden muss. Sie hat sich nicht gegen ihren Vergewaltiger – einen Wirt – gewehrt. Sie ist selber schuld. Erna erkennt das alles und stellt ihren Mann, den ehrgeizigen Staatsanwalt (Stefan Merki), immer wieder in den Senkel. Er will aber unbedingt Grossrat werden und greift daher besonders hart durch.
Doch da gibt es noch den jungen Anwalt Janggen (Max Simonischek), der Frieda verteidigen will. Wieder ist es Erna, die ihm unerlaubterweise Zugang zur Kindsmörderin ermöglicht. Seine Verteidigungsrede vor dem Gericht – ausschliesslich Männer – ist brillant, weitsichtig, fortschrittlich, über die Zeit hinausschauend. Es nützt nichts. Frieda soll hingerichtet werden. Das harte Urteil bringt einen grosser Teil der Bevölkerung, darunter viele Frauen, in Rage, was zur Folge hat, dass Frieda vom Gericht begnadigt wird. Sie hat Ernstli umgebracht, weil sie ihn vor dieser miserablen, ungerechten, harten Welt bewahren wollte.
Begnadigung? Das hiess damals: lebenslang mit Schweigegebot in Einzelhaft, keine Vergünstigungen, kein Anrecht auf Briefe oder Besuch.
Ein starkes Bild der damaligen Gesellschaft
FRIEDAS FALL ist ein grossartiges Sittenbild der damaligen Zeit. Alle Beteiligten haben alles gegeben, jede einzelne Sparte – vom Drehbuch über die Ausstatter, Kostümbildner, bis hin zu Kamera, Schnitt und Musik: alles vom Feinsten. Selten hat man in einem historischen Film ein so gutes Gefühl der Stimmigkeit wie hier. Alles fliesst ineinander über: die Dialoge, die Leistungen der Schauspieler:innen, die bildliche Gestaltung, der Rhythmus. Besonders herausragend sind die junge Julia Buchmann als Frieda, die mit ihrer Mimik und dem Verhalten als Mörderin besticht. Und umwerfend ist Rachel Braunschweig als Frau Staatsanwalt, die die Geschichte immer wieder ins richtige Licht rückt: mutig, selbstbewusst, klar, emanzipiert. Sie hat das Herz auf dem richtigen Fleck.
Fazit: FRIEDAS FALL ist ein wahrlich überzeugendes, meisterliches Werk, das einem nicht kalt lässt und uns in eine Zeit führt, wo Recht, Moral und Gerechtigkeit nicht miteinander korrespondiert haben und die Frauen wenig wert waren. Selten war ein Schweizer Film so packend und einnehmend.
Nachtrag
Der Film basiert auf einer wahren Geschichte. Frieda Keller verbrachte 15 Jahre in Einzelhaft. In schlechter geistiger und körperlicher Verfassung, wurde sie 1919 begnadigt und verbrachte den Rest ihres Lebens in der Psychiatrischen Klinik in Münsterlingen. Dort starb sie 1942. Und in dem Jahr wurde mit Inkrafttreten des Gesamtschweizerischen Strafgesetzbuches die Todesstrafe abgeschafft. Der Fall Frieda Keller wurde zum Symbol für die Ungerechtigkeit des damaligen Strafrechtssystem.
FRIEDAS FALL | WEITERE STIMMEN
«Ocarwürdig!!! FRIEDAS FALL ist mit Sicherheit einer der besten Schweizer Filme der letzten Jahrzehnte und war eines der ganz grossen Highlights der 20. Ausgabe des Zurich Film Festival, was das Publikum mit einer minutenlangen Standing Ovation quittierte. Der Film überzeugt in allen Bereichen: Drehbuch, Schauspiel, Ausstattung. In erster Linie ist es aber eine genauso spannende wie sinnstiftende Geschichte. Die juristischen Diskussionen um dem Fall bewirkten schliesslich, dass die Todesstrafe in der Schweiz abgeschafft wurde. Ein kraftvoller Mundart-Film mit genialer Besetzung.» – Felix Schenker, arttv.ch