Timm Kröger erzählt im Interview, warum für ihn die Schweiz als Drehort von DIE THEORIE VON ALLEM perfekt war, welche Rolle die Ästhetik der 50er-Jahre für seinen Film spielte und wie die Zusammenarbeit mit Schauspieler Jan Bülow verlaufen ist. Weiter führt er aus, warum es ihm wichtig war, bei seinem «quantenmechanischen Thriller in schwarz-weiss» die Informationen über Physik glaubwürdig rüberkommen zu lassen.
DIE THEORIE VON ALLEM | Timm Kröger
- Publiziert am 9. Februar 2024
«Meine Absicht war es, das Publikum in ein kollektives Gedächtnis eintauchen zu lassen, das von filmischen Erinnerungen geprägt ist.»
DIE THEORIE VON ALLEM | Synopsis
1962. ein Physik-Kongress in der Schweiz. Ein iranischer Gast und eine geheimnisvolle Pianistin treten auf. Eine bizarre Wolkenformation erscheint am Himmel und ein dröhnendes Geheimnis ertönt unter dem Berg: Die Theorie von Allem. Ein quantenmechanischer Thriller in Schwarz-weiss.
Interview von Djamila Zünd.
Warum haben Sie die Schweiz als Location für Ihren Film gewählt?
Das Schreiben des Drehbuchs hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen hat, eigentlich mehrere Jahre. Von Anfang an war es mein Ziel, das Publikum in eine fremde und unbekannte Welt eintauchen zu lassen. Da ich in Norddeutschland aufgewachsen bin, ruft die blosse Erwähnung der Schweiz sofort Bilder von Bergen, schneebedeckten Gipfeln und internationalen Kongressen hervor und weckt bei mir ganz natürlich eine Atmosphäre der Fremdheit. Für mich – und das klingt vielleicht ein bisschen naiv – befriedigt die Ansiedlung meiner Geschichte in der Schweiz meine Suche nach dem Geheimnisvollen und Unverständlichen. Der Film ist eine Art Spionagethriller und ich dachte, dass es keinen besseren Ort als die Schweiz gibt, um mein Projekt zu erkunden. Übrigens ist die Schweiz der Sitz des Teilchenbeschleunigers CERN. Die Reise eines angehenden Doktors der Physik in die Alpen zu verlegen, erschien mir daher ganz natürlich. Ich bin überzeugt, dass die besondere Atmosphäre, die die Schweiz in die Welt ausstrahlt, nirgendwo sonst zu finden ist. Die Schweiz war für mich wie eine Black Box, ein magischer Ort, den ich noch nie zuvor erkundet hatte.
Ihr Film lebt von einer Vielzahl filmischer Referenzen.
Nicht nur als Geschichtsliebhaber, sondern auch als Filmemacher hat mich schon immer fasziniert, in die Vergangenheit einzutauchen. Das Kino bietet uns eine einzigartige Möglichkeit dazu, indem es die Ästhetik vergangener Zeiten reproduziert. Meine Sicht auf die Vergangenheit ist zutiefst von filmischen Erinnerungen geprägt. Zwar enthält mein Film einige Elemente des Film noir, aber er geht darüber hinaus; ich habe ihm eigene Akzente verliehen. Die Handlung hält das Publikum durch eine geheimnisvolle Verschwörung in Atem. Wir erkennen, dass es eine Komplexität jenseits der Dichotomie von Gut gegen Böse gibt, dann kommt eine mysteriöse Frau ins Spiel usw. Bis zum Schluss stellen sich den Zuschauer:innen unzählige Fragen. Ich spiele also mit ihnen. Mein Film enthält zu einem gewissen Grad Elemente, die an eine Gothic Novel erinnert, und umfasst sogar einige lovecraftsche Aspekte, was seine Atmosphäre intensiviert. Man könnte den Film sogar als einen kafkaesken Roman beschreiben, der in einem Hotel in den Schweizer Alpen spielt. Allerdings trägt er auch die Essenz einer merkwürdig emotionslosen und actionreichen Iteration respektive Wiederholung der Indiana-Jones-Geschichten in sich, wenn auch in einem deutschen Schwarz-Weiss-Kontext angesiedelt. Und: Indiana Jones selbst ist ein bemerkenswertes Amalgam aus verschiedenen Genres. Und dann zollen wir natürlich dem grossen Hitchcock Tribut! Meine Absicht war es, das Publikum in ein kollektives Gedächtnis eintauchen zu lassen, das von filmischen Erinnerungen geprägt ist. Die Ästhetik der 1950er-Jahre, mit der ich versucht habe, meinen Film zu färben, fügt eine besondere Dimension der Mystik hinzu, wobei ich versucht habe, das heutige Publikum zum Nachdenken anzuregen und es auf diesen besonderen visuellen Stil reagieren zu lassen.
Was können Sie zur Filmmusik sagen?
THE TWILIGHT ZONE ist sehr präsent. Ich glaube, ich musste mir jede Partitur davon von Anfang bis Ende anhören, ungefähr 300 Mal, nur um mich in diese spezielle musikalische Sprache zu vertiefen. Später überarbeitete ich es zusammen mit meinem Komponisten. Ich weiss nicht, ob das gewagt ist, aber ich empfand es als sehr anregend. Was mich an dieser Musik am meisten interessiert, ist zu verstehen, wie ein zeitgenössisches Publikum einen solchen filmischen Ansatz wahrnimmt und erlebt. Obwohl der Film an die 1950er- Jahre erinnert, sind wir uns bewusst, dass dies nicht der Fall ist, weshalb die Musik so auffällig präsent ist. An manchen Stellen hat man buchstäblich das Gefühl, dass sie uns anschreit. Der Film schlägt manchmal einen sehr pathetischen und ernsten Ton an, aber man spürt, dass er sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Er versucht, die Balance zu halten und schafft eine bizarre Atmosphäre, die über die Leinwand hinaus hallt.
Wenden wir uns den Charakteren zu, insbesondere Johannes.
Seine Figur ist sehr komplex. Ich hatte grosses Glück, den Schauspieler Jan Bülow an meiner Seite zu haben, der über einen brillanten Instinkt verfügt. Manchmal wirkte Bülow Spiel auf mich etwas übertrieben, manchmal beeindruckte mich seine Initiative. Letztendlich hatte in Bezug auf die dramatische Dosierung Jan Recht, mal ich, aber am Ende wurde alles zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt. Wie Hitchcock schon sagte: Manchmal macht die Kamera die Arbeit für uns!
Die Handlung des Multiversums ist ein entscheidendes Element in Ihrem Film. Wie und warum haben Sie es behandelt, im Gegensatz zu Hollywood-Filmen wie der MARVEL-Franchise?
Die Idee mit dem Multiversum kam von meinem Co-Autor, und sie gab meiner Idee von einer Verschwörung eine neue Richtung – in der Art eines «geheimen James Bond», unter einem Hotel. Sie fügte auch eine Schicht Paranoia hinzu, die ich aufregend fand, indem sie die vielen Möglichkeiten erkundete, wie ein Leben verlaufen kann. Ich nutzte die Idee eher als psychologische Metapher, um meine Geschichte zu erzählen, als einen Film über Quantenphysik zu drehen. Dann dachte ich an das Kino, denn Filme handeln in der Regel von erfolgreichen menschlichen Biografien. Die berühmten «success stories». Daher war es für mich besonders interessant, dieses junge Genie zu haben und es in eine völlig unerforschte Richtung entwickeln zu lassen. Er hätte ein Genie werden und einen Nobelpreis gewinnen können, aber ich sehe ihn eher als das Konzept von Schrödingers Katze (die sowohl lebendig als auch tot ist). Johannes ist also sowohl ein Genie als auch ein totes Gehirn. Das ist tragisch und komisch zugleich. Zu sehen, wie sich eine Figur am Ende in dieser Sackgasse wiederfindet, in der niemand wirklich an die Geschichte glaubt, die wir gerade mit ihr erlebt haben.
Können Sie uns abschliessend erklären, wie Sie die Wissenschaft-Elemente in Ihre Handlung einbauten? Sind diese nur unterstützende Elemente der Geschichte oder nehmen sie einen zentralen Platz ein?
Was die wissenschaftlichen Aspekte des Films betrifft, so wollte ich, obwohl ich kein Physiker bin, dass die Informationen über die Physik glaubwürdig bleiben. Die verwendeten Formeln sind vielleicht nicht ganz realistisch, aber sie sind tief in realen Konzepten verwurzelt. Der Film ist eher eine künstlerische Erkundung wissenschaftlicher Themen als ein Werk der reinen Wissenschaft. Er konzentriert sich nicht auf die Physik als solche, sondern vielmehr auf die Art und Weise, wie wir die Physik nutzen. Es handelt sich eher um eine psychologische Metapher, ein Werkzeug, um meine Geschichte zu erzählen. Ich glaube nicht, dass Interesse an Physik eine Voraussetzung dafür ist, sich mit der Film-Geschichte zu identifizieren. Der Titel DIE THEORIE VON ALLEM beschwört ein Versprechen herauf, das wir selbst auf den ersten Blick und ohne tiefere Kenntnisse der Physik als etwas erkennen können, das es nicht wirklich gibt. Es weckt Erwartungen, die es wahrscheinlich nicht vollständig erfüllen kann! Daher bin ich der Ansicht, dass dieser Titel sowohl auf das hinweist, worüber wir sprechen, als auch Erwartungen weckt.