Mit viel Humor erzählt Regisseur Thomas Haemmerli Sozialgeschichte – vom Kalten Krieg über Konkubinatsverbote bis zu den Armeeabschaffer:innen – und beleuchtet Stefaninis Leben (1924–2018) vom Immigrantensohn zum milliardenschweren Bauunternehmer und Grosssammler.
DIE HINTERLASSENSCHAFT DES BRUNO STEFANINI
- Publiziert am 4. Dezember 2024
Ein Museum fürs Volk
Brunos Stefaninis Sammelwut kannte keine Grenzen. Er hortete Schlösser, Atombunker, Panzer, Kunst sowie Objekte von General Henri Guisans Mantel bis zu Kaiserin Sissis Unterhosen. Sein Ziel war stets, ein grosses Museum fürs Volk zu schaffen. Stattdessen hinterliess er nach seinem Tod die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG), die seither damit beschäftigt ist, die immense Hinterlassenschaft zu ordnen. Stefanini bot Studierenden zwar günstigen Wohnraum an, doch waren seine Immobilien meist völlig heruntergekommen, sodass sich in Winterthur der Begriff «Stefanini-Haus» etablierte. So lebte der Komiker Viktor Giacobbo in einem «Stefanini-Haus», alt Bundesrat und Sammler Christoph Blocher stritt mit Stefanini ums Mietdepot einer Wohnung, und ersteigerte später mit ihm gemeinsam Werke von Albert Anker.
Solothurner Filmtage
«Der Film vereint Dokumentation und Unterhaltung und erzählt eindrucksvoll die Geschichte einer aussergewöhnlichen Biografie. Stefaninis Leben zeigt kontroverse Aspekte, die für unsere Zeit hochaktuell sind – einerseits die Bedeutung der individuellen Biografie in der Geschichte, andererseits der Wunsch nach einem Vermächtnis fürs Kollektiv», sagt der künstlerische Leiter der Solothurner Filmtage Niccolò Castelli. «Der Film steht auch stellvertretend für ein Thema, das in diesem Jahr mehrere Filme prägt: Was hinterlassen wir unserer Nachwelt? Im Kontext der 60. Ausgabe der Solothurner Filmtage ist diese Frage insofern passend, als dass es vor allem Geschichten und Bilder sind, die wir hinterlassen und die unsere Erinnerung prägen.»
Weltpremiere mit Regisseur Thomas Haemmerli
«An Stefanini faszinierte mich der Fall eines manischen Sammlers mit praktisch unbeschränkten Mitteln sowie seine geschichtsgesättigte Vita.» Thomas Haemmerli ist Autor von Sachbüchern wie «Kreis! Progress! Quadrat!» über konkrete Kunst und bekannt für die Dokumentarfilme DIE GENTRIFIZIERUNG BIN ICH sowie SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE über seine Messie-Mutter.
Rezension
Von Doris Senn
Besonders in seinen letzten Lebensjahren war sein Name (wieder) in den Medien: Bruno Stefanini, 1924 in Winterthur geboren, 2018 verstorben. Der milliardenschwere Bauunternehmer liess nicht nur seine mietgünstigen Immobilien bis zur Gemeingefährlichkeit verlottern, Schlagzeilen machte auch seine manische Sammelleidenschaft, die ihn praktisch täglich Kunst und Krempel ersteigern liess. In seiner Kindheit als Migrantensohn gegängelt, gelang dem Lebemann Stefanini mit Charme und einer Prise Schlitzohrigkeit der Aufstieg zum Immobilien-Tycoon. Der Messie-erfahrene Regisseur Thomas Haemmerli (SIEBEN MULDEN UND EINE LEICHE) widmet der skurrilen Figur ein launiges Biopic.
Von Guisans Generals-Mütze bis zu Sissis Unterhose
Noch selten ertappte man sich dabei, während eines Films so oft den Kopf zu schütteln: Kann eine solche Biografie, eine solche Figur wirklich wahr sein? Und dies in der biederen Schweiz der Sechziger-, Siebzigerjahre? DIE HINTERLASSENSCHAFT DES BRUNO STEFANINI – der Winterthurer Historiker und Stefanini-Biograf Miguel Garcia stand dem Filmprojekt beratend zur Seite – entrollt unterhaltsam und in einer dem Thema angemessenen Fülle von Objekt- und Archivbildern die Biografie dieses Exzentrikers. Seine Sammlung umfasste vom Hodler-Bild über die Mütze General Guisans – Stefaninis Idol! – und ein Arsenal von Kriegsmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg bis hin zur Unterhose Kaiserin Sissis ebenso Hochkarätiges wie Groteskes. Der Film würdigt nebst seinem glanzvollen Aufstieg auch sein für die damalige Zeit und hiesige Verhältnisse freizügiges Privatleben. Das Flair fürs Immo-Business erbte er von seinem Vater, der sich aus dem Nichts hochgearbeitet hatte. Von ihm erhielt Stefanini das Startkapital, um vom Wirtschaftsaufschwung und der aufstrebenden Bauindustrie zu profitieren und ein riesiges Vermögen anzuhäufen. Nichtsdestotrotz gab er sich zeitlebens ebenso knauserig wie freigebig, ebenso sparsam wie verschwenderisch.
Die Hinterlassenschaft
Filmemacher Haemmerli verwebt die Lebenserzählung mit viel spannender Zeitgeschichte – sei es, was die Baugeschichte von Spreitenbach oder die Finanzmauscheleien des Oberst Nyffenegger um die «Diamant»-Armeefeiern betraf. Die Vielfalt von Stefaninis Sammlung zeigt der Film mal stakkatohaft in Einzelaufnahmen, dann wieder in langen Kamerafahrten: Es offenbaren sich Regale voller sich stapelnder Gemälde und mit Objekten vollgestellte Bunkerhallen. Illustere Zeitzeug:innen inszeniert der Regisseur vor grellbunten Greenscreens – etwa Stefaninis Tochter Bettina, seine Ex-Frau Veronika, aber auch Christoph Blocher oder Viktor Giacobbo – was dem Film auch ästhetisch einen schrillen Touch verleiht.
Fazit: DIE HINTERLASSENSCHAFT DES BRUNO STEFANINI erweckt die Biografie des Winterthur Immobilien-Tycoos und skurrilen Sammlers zu bildhaftem Leben. In seinem quirligen, mit flapsigem Humor erzählten Dokfilm gewährt Thomas Haemmerli anhand dieses exzentrischen Zeitgenossen aber auch spannende Einblicke in die Bau-, Polit- und Sittengeschichte der helvetischen Wirtschaftswunderjahre und danach.