Er ist einer, der sowohl Walter Stürm wie auch Barbara Hug persönlich gut kannte: der Zürcher Anwalt Bernard Rambert. Der heute 75-Jährige, der immer noch als Strafverteidiger tätig ist, erzählt im Gespräch mit arttv.ch in seiner Kanzlei in Zürich, was ihn mit dem «Ausbrecherkönig» und dessen unerschrockenen Anwältin verbindet und wo der Film Hug definitiv nicht gerecht wird.
Bernard Rambert | Stürms erster Anwalt
- Publiziert am 24. November 2021
«Wir bräuchten heute dringend mehr Menschen wie Barbara Hug», sagt Stürms erster Anwalt Bernard Rambert und übt Kritik am neu erschienenen Film.
Wie reagierten Sie, als Sie erstmals davon hörten, dass es einen Spielfilm über Walter Stürm geben solle?
Ui, also auf diese Einstiegsfrage war ich nicht vorbereitet (denkt sehr lange nach). Wenn ich kurz antworten soll: Halbwegs interessiert – und: Walter Stürm war eine schwierige Figur.
Sie spielen darauf an, dass zuerst Sie (von 1976 – 1982) sein Anwalt waren, bevor Barbara Hug diese Funktion übernahm. Und Sie selber sassen wegen Walter Stürm im Spätsommer 1980 während eines Monats in Untersuchungshaft…
Ja, unter anderem – aber ich möchte betonen, dass ich ihn nicht primär aus den von Ihnen genannten Gründen als schwierige Figur bezeichne.
Sondern?
Gelinde gesagt, war er einer, der alle, die ihn unterstützten, nach Strich und Faden verarschte.
Das kommt auch im Film zum Ausdruck. Aber erzählen Sie doch, wie Sie das selber erlebt haben.
Gerne, aber da muss ich etwas ausholen. Wir hatten 1975 zusammen mit Susanne Leuzinger, Edi Schönenberger und Claudia Bislin das Anwaltskollektiv gegründet. Wir verstanden uns als Anwälte, die unterprivilegierten Menschen zu ihrem Recht verhelfen und sich in den Dienst der Arbeiterklasse stellen wollten. Das hiess konkret, wir passten unsere Tarife den ökonomischen Verhältnissen unserer Klient*innen an und wir arbeiteten alle für einen monatlichen Einheitslohn von 2500 Franken. Bei unserer Arbeit als Strafverteidiger wurden wir rasch auch mit der Frage der Haftbedingungen konfrontiert, es war eine Zeit, in der diese verschärft und vor allem Angeklagte, die so genannt linksterroristischer Straftaten beschuldigt wurden, durch Isolationshaft zermürbt und gebrochen werden sollten.
Erinnern Sie sich an ihren ersten Fall diesbezüglich?
Die erste Person, die ich als Vertreter des Anwaltskollektivs in diesem Zusammenhang verteidigte, war Petra Krause, eine deutsch-italienische Doppelbürgerin. Sie sass in Zürich in Untersuchungshaft, weil sie beschuldigt wurde, die deutsche RAF und die italienischen Roten Brigaden unterstützt zu haben. Ihr Fall erregte viel Aufsehen und wir erreichten schliesslich ihre Haftentlassung. Wir konnten nachweisen, dass die Isolation im Gefängnis ihre Gesundheit so stark geschädigt hatte, dass sie nicht mehr hafterstehungsfähig war. Der Erfolg der Kampagne für Petra Krause machte uns und unseren Kampf gegen Isolationshaft sehr bekannt – auch bei einem Autodieb und Tresorknacker namens Walter Stürm. Er war gerade wieder einmal aus dem Gefängnis ausgebrochen, wurde kurz darauf erneut gefasst, kam in Isolationshaft und wandte sich an uns. So wurde ich sein Strafverteidiger.
War die Zusammensetzung des Anwaltskollektivs zu jenem Zeitpunkt immer noch die gleiche?
Nein, wir wurden schon in den ersten Monaten unseres Bestehens förmlich überrannt von Leuten, die Rechtsbeistand suchten. So vergrösserte sich das Kollektiv rasch, bald waren wir zehn Leute, Anfang 1976 kam auch Barbara Hug hinzu.
Kannten Sie sich zuvor schon?
Ja, wir kannten uns von der Uni, sie war im gleichen Jahrgang wie ich – und, als Studentin trat sie nicht nur an der Uni militanter als ich auf, sondern war auch in ihren ersten Jahren als Anwältin radikaler. Ich erinnere mich, wie ich sie 1975 einmal traf, ihr vom Anwaltskollektiv erzählte und sie fragte, ob sie nicht bei uns mitmachen wolle. Da bezeichnete sie das Anwaltskollektiv als reformistisches Projekt, sie dagegen sei der Meinung, man müsse alles tun, um diesen ganzen Justizapparat in die Luft zu jagen. Wie gesagt, trat sie ein Jahr später dann doch bei uns ein, wir arbeiteten auch zusammen. Doch bald gab es grosse Spannungen und Auseinandersetzungen im Kollektiv, was schliesslich darin gipfelte, dass ich und zwei weitere Mitglieder zum Austritt gedrängt wurden.
Wie kam das?
Es ist eine komplizierte Geschichte. Stark vereinfacht gesagt, ging es darum, dass die Mehrheit des Anwaltskollektivs keine Angeklagten mehr verteidigen wollte, die (links)terroristischer Straftaten beschuldigt wurden. Sie fanden, das würde ihre Arbeit im Bereich von Mieterschutz, Frauen- und Arbeiterrechten beeinträchtigen. Ich dagegen gehörte zu denen, die in dieser Hinsicht keine Berührungsängste hatten und vertrat dies stets auch als politische Haltung. Die Ironie an dieser Geschichte war, dass Barbara Hug eine der Hauptexponentinnen war, die meinen Rausschmiss aus dem Anwaltskollektiv beförderte.
Nehmen Sie ihr das heute noch übel?
Ach was! Das liegt so weit zurück! Ich habe das damals als opportunistisches Einknicken erlebt, was es ja wohl auch war. Man kann sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, wie aufgeheizt die Stimmung damals war. Es war der Herbst 1977, in der BRD wurden Anwälte, die Leute aus der RAF und anderer bewaffneter linksradikaler Organisationen verteidigten, nicht nur mit Berufsverbot belegt, sondern kurzerhand auch zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, wie beispielsweise Klaus Croissant. Auf der anderen Seite ist mir auch klar, dass die Mehrheit des Kollektivs sich als Folge der Negativschlagzeilen über die «Terroristenanwälte» massiv eingeschränkt fühlte. Wenn mich dagegen bis heute etwas am Verhalten von Barbara Hug mir gegenüber schmerzt, dann ist das lediglich ein furchtbar unpersönlicher Brief von 1982, in dem sie mir mitteilte, Walter Stürm habe von nun an sie mit seiner Verteidigung betraut.
Wie war es dazu gekommen?
Ich war nach meinem Rauswurf aus dem Anwaltskollektiv weiterhin Stürms Anwalt und gleichzeitig nahmen unsere Kampagnen gegen Isolationshaft immer mehr Fahrt auf. Ich wehre mich bis heute gegen den Vorwurf, wir hätten Stürm damals idealisiert. Ich jedenfalls kann von mir sagen, dass ich das nie tat. Aber ich bestreite auch nicht, dass wir von ihm profitierten – und er von uns. Wie breit die Unterstützung für ihn und seinen Kampf gegen die Isolationshaft damals war, mag ein Aufruf veranschaulichen, der am 28. Juni 1980 als ganzseitiges Inserat im Tages-Anzeiger erschien: Initiiert von Hans Stürm, dem Filmemacher und Cousin von Stürm, hiess es darin: «Angesichts der menschenverachtenden Haftbedingungen haben wir Walter Stürms Flucht tatkräftig unterstützt, resp. gutgeheissen.» Unterzeichnet war der Aufruf von fünfzig Personen, unter ihnen fanden sich Prominente wie der Journalist Niklaus Meienberg, der Psychoanalytiker Paul Parin, die Schriftstellerin Isolde Schaad oder der Filmregisseur Villi Hermann, aber auch so genannt ‹einfache Leute›, die als Arbeiter*innen, Lehrer*innen oder Angestellte tätig waren.
Und dann wurden Sie verhaftet.
Ja genau, kurz darauf, im August 1980, wurde ich verhaftet, weil im Keller des Hauses meiner Tante in Nyon Diebesgut, Einbruchswerkzeuge und Waffen gefunden wurden. Die Dinge konnten die Untersuchungsbehörden eindeutig Walter Stürm zuordnen. Mich beschuldigte man der Mitwisserschaft, doch 1982, im Prozess, wurde ich vollumfänglich freigesprochen und 1983 erhielt ich eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.
Zu jenem Zeitpunkt waren Sie also schon nicht mehr Stürms Anwalt. Aber gehen wir noch mal zurück, wie es dazu gekommen ist…
Im Dezember 1980, mitten in der Zeit der Jugendrevolte, als Stürm wieder einmal in Regensdorf in Haft sass, schafften wir es sogar, dass es vor dem Gefängnis eine grosse Demonstration gab und gleichzeitig drinnen eine Revolte ausbrach. Einige Monate später, nach Ostern 1981, als Stürm wieder einmal ausgebrochen und mit dem Zettel «Bin Ostereier suchen gegangen» berühmt geworden war, kontaktierte er mich auf Umwegen. Er schlug mir ein Treffen an seinem Fluchtort in Südfrankreich vor. Ich fuhr hin, hatte ihm zuvor schon in einem Brief den Vorschlag unterbreitet, er solle sich für einige Jahre nach Südamerika absetzen, danach zurückkommen und sich den Behörden stellen. Im Gegenzug würde ich alles dafür tun, dass er eine milde Strafe bekäme. Stürm erschien nicht, er hatte den Vorschlag offenbar in den falschen Hals bekommen. Es wäre unser letztes Treffen gewesen, das ich mit ihm noch als sein Anwalt gehabt hätte. Im Jahr darauf, im Herbst 1982, bekam ich dann Barbara Hugs besagten Brief.
Die Chronologie im Film, die 1980 mit Barbara Hug als Stürms Verteidigerin während der Zürcher Jugendunruhen beginnt, stimmt also nicht?
Nein, offensichtlich nicht, ich habe den Film jedoch noch nicht gesehen. Aber ich habe nichts gegen die Freiheit der Fiktion…
In Ihrem «Aber» schwingt mit, dass Sie andere Einwände gegen den Film haben…
Ja, das stimmt. So habe ich beispielsweise gehört, dass darin eine Romanze zwischen Anwältin und Klient suggeriert wird.
Da haben Sie richtig gehört…
Das ist nun wirklich totaler Schwachsinn und es ist – bei aller Freiheit der Fiktion – billig, dass der Film das offenbar nötig hat. Ich habe in diesem Zusammenhang auch vernommen, Barbara Hugs Schwester habe deshalb – erfolglos – bei den Filmemachern interveniert.
Der Film, der tatsächlich mehr von der Figur Barbara Hug als von der des Walter Stürm handelt, vermittelt unterschwellig auch, dass Barbara Hug eine sexuell bedürftige Frau war, die in jenen Jahren vor allem wegen ihrer körperlichen Behinderung keine Liebesbeziehung hatte…
Auch das ist Bullshit. Ich habe Barbara Hug stets nicht nur als Anwältin erlebt, die einen eisernen Willen hatte, die wie eine Löwin kämpfte und dabei Erfolge feiern konnte, sondern ebenso als Frau mit einer ziemlich erotischen Ausstrahlung. Sie hatte immer wieder Beziehungen und so wie ich sie erlebte, war sie es, die sich die Männer aussuchte – und nicht etwa umgekehrt. Und ich möchte noch betonen, dass ich bei allen Zerwürfnissen und heftigen Auseinandersetzungen beruflicher und politischer Art, die ich mit ihr hatte, sie stets für ihren Kampfgeist bewunderte. Ich erinnere mich noch gut an die Gedenkveranstaltung anlässlich ihres Todes in der Kanzleiturnhalle im September 2005, als verschiedene Mitstreiter*innen und Weggefährt*innen kurze Reden über sie hielten. Ich hatte nichts vorbereitet, als ich von mehreren Leuten gedrängt wurde, auch ans Mikrofon zu treten. Ein Vorredner hatte sie als überragende Kämpferin charakterisiert, obwohl sie gar keine grosse Juristin gewesen sei. Ich widersprach diesem Vorredner und betonte, dass sie mindestens so sehr eine überragende Strafverteidigerin wie eine zähe Kämpferin gewesen sei, eine, die viele das Fürchten gelehrt habe. Wir bräuchten heute dringend mehr Menschen wie sie.
Kehren wir zum Schluss noch mal zu Walter Stürm zurück, der Filmtitel trägt ja seinen Namen. Was haben Sie damals empfunden, als Sie im September 1999 von seinem Selbstmord im Gefängnis erfuhren?
Natürlich ging das nicht spurlos an mir vorbei. Aber andererseits war Stürm damals ja so weit weg von uns allen. Damit will ich aber nicht sagen, dass sein Kampf für bessere Haftbedingungen und die Abschaffung der Isolationshaft nicht heute noch genau so aktuell ist wie damals. Das Beispiel von Brian, alias Carlos, der seit drei Jahren in einer Spezialzelle in der Strafanstalt Pöschwies (Regensdorf) total isoliert einsitzt, zeigt deutlich, dass sich in dieser Hinsicht kaum etwas verändert hat.
Ein Interview von Geri Krebs