Josef Haders letzter Film WILDE MAUS verzeichnete im deutschsprachigen Raum 500 000 Kinoeintritte. ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN ist in Österreich in nur knapp drei Wochen bereits bei 200 000 Besucher:innen angelangt. arttv Filmjournalist Geri Krebs hat Josef Hader getroffen, um mehr darüber zu erfahren, warum das Publikum in Berlin anders als in Österreich über seinen Film lacht. Aber auch, dass die Skulptur einer Zwiebel, deren Blüte nachts blinkt, das emotionale Zentrum seines Films ist.
ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN | Josef Hader
- Publiziert am 3. April 2024
«Birgit Minichmayr ist eine unglaubliche Schauspielerin, die alles spielen kann und als glänzendes Korrektiv schlechter Drehbuchsätze funktioniert.»
Josef Hader (*1962, Waldhausen, Oberösterreich), ist seit 1985 hauptberuflich Kabarettist und wurde mit allen wichtigen deutschsprachigen Kleinkunstpreisen ausgezeichnet. Seit Anfang der Neunzigerjahre unternimmt Hader immer wieder erfolgreiche Ausflüge ins Filmfach als Schauspieler und Drehbuchautor, zuletzt auch als Regisseur. Den Grundstein für seine Filmkarriere legte Hader 1993 mit dem Spielfilm INDIEN, für den er mit Co-Hauptdarsteller Alfred Dorfer und Regisseur Paul Harather gemeinsam das Drehbuch schrieb. Der Film wurde u.a. mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und gilt bis heute als einer der bekanntesten und erfolgreichsten österreichischen Filme. Mit DER ÜBERFALL von Florian Flicker gewann Josef Hader 2000 beim Internationalen Filmfestival von Locarno den Darstellerpreis. 2016 glänzte Hader in der Rolle des Stefan Zweig in dem viel beachteten, mehrfach ausgezeichneten Biopic VOR DER MORGENRÖTE (Regie: Maria Schrader). Haders Verkörperung des österreichischen Schriftstellers brachte ihm 2016 den Preis der deutschen Filmkritik als «Bester Darsteller» sowie eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis 2017 ein. Mit seinem Regiedebüt WILDE MAUS, für das er nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch die Hauptrolle übernahm, wurde Josef Hader 2017 in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen. ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN feierte auf der Berlinale 2024 im Panorama seine Weltpremiere.
Mit Josef Hader sprach Geri Krebs
arttv.ch: An der Premiere in Berlin haben Sie Ihre Figur, den Religionslehrer Franz, so charakterisiert: Er ist einer, der auf seinem Lebensweg ein paar falsche Abzweigungen genommen hat und jetzt ist ihm alles egal. Wie würden Sie seine Filmpartnerin, die titelgebende Andrea, beschreiben?
Josef Hader: Andrea ist eine Frau, die versucht hat, auf dem Land zu leben. Und als Polizistin dort zu arbeiten, wo sie wohnt, etwas, was Polizisten nicht gerne tun. Sie möchte in ihrer Arbeit korrekt sein, auch gegenüber den Einheimischen – das ist in Österreich ein ziemlich schwieriges Programm. Es gibt nicht den einen grossen Grund dafür, warum sie bereits ganz zu Beginn des Filmes aufgegeben hat und nur noch weg will. Es sind eher viele kleine Nadelstiche, die sie fort treiben. Durch ein grosses Missgeschick wird ihr das Weggehen plötzlich verunmöglicht. Sie beginnt dafür zu kämpfen, ihren Karriere- und Lebensplan zu verwirklichen, ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei trifft sie auf meine Figur, einen trockenen Alkoholiker, der bereits jeglichen Karriereplan aufgegeben hat. Solche alten Narren sind manchmal ganz hilfreich.
ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN sei der Beginn einer weiblichen Emanzipationsgeschichte. So heisst es nicht nur im Promotionstext, sondern auch auf Ihrer Homepage www.hader.at. Ich erlebe die Figur der Andrea aber von der ersten Einstellung des Films an als bereits emanzipiert. Sie ist eine Frau, die sich von den Männern nicht dreinreden lässt, ja ihnen überlegen ist in ihrem geradezu atemberaubenden Pragmatismus….
Da gebe ich Ihnen Recht. Das einzige, wovon sich Andrea noch emanzipieren muss, ist vielleicht der faule Kompromiss, den sie bisher mit der Männerwelt geschlossen hat. Sie hatte ein Rezept gefunden, wie sie ihre Ziele gegen die Herren der Schöpfung auf dem Land durchsetzen kann. Aber dieses Arrangement kommt während des Films immer mehr ins Wanken. Was ihren Pragmatismus betrifft, so wirkt sie nach aussen hin tatsächlich immer gefasst. Aber in ihr drinnen, da geht es wild zu. Sie schläft nur sehr wenig in diesen Tagen, in denen der Film spielt. Dieses innere Brodeln spielt Birgit Minichmayr so grossartig! Dieser innere Aufruhr legt sich erst gegen Ende des Films, als sie sich von ihrem schrankenlosen Pragmatismus verabschiedet und eine emotionale Befreiung erlebt. Ein sehr lehrreicher Film für alle Schweizer:innen, so gesehen.
Ohne zu viel zu spoilern, gilt das aber auch für Ihre Figur: Wie Franz da in der Schlusszene auf der Landstrasse geht, erinnert mich an «Hans im Glück»: Job weg, Auto weg, er muss zu Fuss ins Dorf. Doch er meint nur: Es is ja so a schöns Wetter….
Ja! Das ist schön, wenn das so herauskommt. Man könnte ja auch denken: er läuft jetzt in sein einsames Unglück zurück. Aber ich glaube, er hat tatsächlich ein Stück Freiheit gewonnen und in Andrea jemanden, zu dem er in Zukunft eine Art Beziehung haben wird. Beide haben voneinander profitiert.
Bereits einmal haben Sie mit Birgit Minichmayr zusammengespielt, 2009 in DER KNOCHENMANN, der Verfilmung der gleichnamigen schwarzen Krimikomödie von Wolf Haas durch den Regisseur Wolfgang Murnberger. Auch da waren Sie und Minichmayr die Protagonisten. Und während sich damals Ihre Figur in die von Minichmayr verliebte, ist es jetzt eine zarte platonische Freundschaft…
Ja leider, für was anderes bin ich inzwischen zu alt, da kann man nichts machen! Ich hatte beim Schreiben des Drehbuches schon Birgit als Hauptfigur im Kopf und hab einige Fassungen geschrieben, bevor ich es ihr gezeigt habe, um sicher zu gehen, dass es ihr auch wirklich gefällt. Sie ist eine unglaubliche Schauspielerin, die alles spielen kann – aber nicht immer alles spielt, was im Drehbuch steht. Sie ist ein glänzendes Korrektiv für schlechte Drehbuchsätze.
In den Credits zum Film steht beim Drehbuch neben Ihrem Namen noch der von Florian Kloibhofer. Was war seine Funktion bei der Entstehung der Geschichte?
Florian Kloibhofer hat mir nach jeder Drehbuchfassung mit seinem Feedback geholfen, das Drehbuch voranzutreiben. Ich mache das mit einigen nahen Menschen in meiner Umgebung, in seinem Fall war die Zusammenarbeit so intensiv, dass ich fand, er verdient es, beim Drehbuch genannt zu werden. Wichtig war mir beim Schreiben auch das Feedback von Menschen, die auf dem Land wohnen. Da gibt es einen alten Schulfreund, der Landwirt ist und einige Sätze fürs Buch beigesteuert hat, die man zu fortgeschrittener Stunde in ländlichen Kneipen hören kann.
Sie selber stammen aber auch aus der tiefsten oberösterreichischen Provinz…
Ja, aber ich bin mit 19 von dort weggegangen, nach Wien. Ich bin in Waldhausen im Strudengau geboren, das liegt in einer von Hügeln durchzogenen, durch die Donau geprägte Landschaft. Das niederösterreichische Dorf mit dem schönen Namen Unterstinkenbrunn – das neben der Landeshauptstadt St. Pölten Schauplatz ist von ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN – liegt dagegen in einer viel eintönigeren, weitgehend flachen Landschaft, die aber viel besser für meinen Film ist! Da sieht man ständig den Horizont, der Wind weht, es sieht immer ein bisschen aus wie in einem Western. Die Leute dort leben vom Anbau von Zuckerrüben und Zwiebeln. Deshalb gibt es hier auch als gastronomische Besonderheit einen Zwiebelschnaps und am Dorfausgang im Verkehrskreisel eine sechseinhalb Meter hohe eiserne Skulptur einer Zwiebel, deren Blüte nachts blinkt. Das ist sozusagen das emotionale Zentrum unseres Films.
Ursprünglich wollten Sie den Film St. Pölten nennen. Warum haben Sie die Idee verworfen?
In Österreich wäre so ein Titel eine Pointe. Aber ausserhalb von Österreich funktioniert sie leider nicht.
Das müssen Sie erklären.
St. Pölten hat den Ruf, eine Stadt zu sein, in der nicht viel los ist. Sie als urbanen Fluchtpunkt eines Films zu wählen, das hat bei uns eine gewisse Komik. St. Pölten ist erst seit dreissig Jahren Landeshauptstadt des Bundeslandes Niederösterreich. Es ist ein 50 000 Einwohner zählender Ort mit einer barocken Altstadt. Gleich daneben hat man dann in den Neunzigern ein Verwaltungszentrum hochgezogen. Es sieht mit seinen Glaspalästen und anthrazitfarbenen Bürotürmen ein wenig aus wie die Schrumpfversion des Potsdamer Platz in Berlin und ist in seinen Dimensionen völlig deplatziert und passt überhaupt nicht hierher. So wurde aus einem beschaulichen Städtchen eine tagsüber geschäftige Beamtenstadt, die in der Nacht praktisch menschenleer ist. An diesem seltsamen Schauplatz spielen die Szenen mit Andrea und Walter, ihrem zukünftigem Kollegen bei der Kriminalpolizei.
Generell zeichnet ANDREA LÄSST SICH SCHEIDEN ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Leben in der österreichischen Provinz. Nun ist der Film in ganz Österreich in den Kinos angelaufen. Wie waren bis anhin die Reaktionen?
Bis jetzt recht positiv. Der Film läuft seit gut drei Wochen in den österreichischen Kinos und hat über 160 000 Eintritte erzielt. Ich finde das ganz gut, vor allem, weil der Film ja halb Drama und halb Komödie ist. WILDE MAUS, das vielleicht etwas mehr Komödie ist, hatte am Schluss über 500 000 Eintritte im ganzen deutschen Sprachraum. Mal schauen, wohin wir noch kommen. Das Publikum lacht ja auch in diesem Film, aber überall ein bisschen anders. Bei der Berlinale-Premiere war es ein sorgloses Lachen, für die war das so wie ein finnischer Film, über einen sehr fremden Volksstamm.
In Österreich war es anders?
Ja! In Österreich lachen sie etwas vorsichtiger und wissend, dass der Film einen gewissen Realismus hat. Besonders spannend fand ich die Reaktionen in kleineren Städten auf dem Land. Am Anfang finden sie vieles gar nicht so komisch, über das die Leute in der Stadt viel mehr lachen. Aber wenn dann nach zwanzig Filmminuten der Franz erstmals erscheint und dann so als reiner Tor durch den Film stolpert, dann hat er viel mehr die Lacher auf seiner Seite als das beim urbanen Publikum der Fall ist. Man könnte sagen: Je trauriger es für den Franz wird, umso mehr lachen die Leute. Aber sie lachen ihn nicht aus, sie lachen aus einer gewissen Erleichterung heraus. Vielleicht darüber, dass so ein Versager lustig sein darf. Sie lachen vielleicht ein bisschen über die Freiheit des Narren.
Vielen Dank für das Interview