Im Zentrum steht das junge Paar Aline und Cem. Der Film stellt dabei konkrete Fragen nach Nähe, Loyalität und Abgrenzung. Aline stammt aus einem Umfeld, das durch eine Freikirche geprägt ist, Cem hat einen türkisch-muslimischen Hintergrund. Diese unterschiedlichen sozialen und religiösen Bezüge bilden den Rahmen, in dem sich die Beziehung entwickelt – und an dem sich Erwartungen, Unsicherheiten und Konflikte entzünden.
ALINE & CEM
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Der Kurzfilm von Gitta Gsell beobachtet eine Liebesbeziehung, die von unterschiedlichen kulturellen und religiösen Prägungen beeinflusst wird.
Gitta Gsell – Eine kontinuierliche filmische Arbeit
Gitta Gsell (1953 in Zürich) gehört zu jener Generation von Schweizer Filmemacherinnen, deren Werk sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt und verschiedene filmische Formen umfasst – vom experimentellen Kurzfilm über den Dokumentarfilm bis zum Spielfilm.
Anfänge und formale Vielfalt
Nach ihrer Ausbildung an der F+F Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich (1977–79) setzte sie ihre künstlerische Entwicklung in den USA fort: an der School of Visual Arts und am Hunter College in New York, wo sie 1984 einen Master of Fine Arts erwarb. Von 1979 bis 1989 lebte sie in New York, bevor sie sich 1990 wieder in Zürich niederliess. Ihre frühen Filme wie GOODBYE (1981), A.R.T. (1984) oder IMMER DIESE EWIGKEIT (1985) zeigen ein Interesse an Wahrnehmung, Bewegung und Zeit, das sich durch ihr gesamtes Werk zieht. In dieser Phase entstehen zahlreiche Kurz- und mittellange Arbeiten, oft mit experimentellem oder essayistischem Charakter.
Parallel dazu entwickelt Gsell eine dokumentarische Praxis. Filme wie CORNELIA FORSTER – KÜNSTLERIN (1990), IRÈNE SCHWEIZER (2005) oder KARAMBOLAGE – DIE WELT DES ARNOLD ODERMATT (2013) widmen sich Künstler:innen und eigenständigen Persönlichkeiten. Dabei steht weniger die biografische Vollständigkeit im Vordergrund als die Annäherung über Arbeit, Haltung und Alltag.
Dokumentarisches Arbeiten
Mit Filmen wie BÖDÄLÄ – DANCE THE RHYTHM (2010) oder MELODY OF NOISE – WIE GERÄUSCH ZU MUSIK WIRD (2016) richtet sich Gsells Blick auf Musik, Bewegung und Körper. Diese Arbeiten sind geprägt von genauer Beobachtung und einem formalen Interesse an Rhythmus, Klang und Struktur. Auch hier verbindet sie dokumentarische Genauigkeit mit einer offenen, nicht erklärenden Erzählweise.
Spielfilm und internationale Aufmerksamkeit
Einen neuen öffentlichen Fokus erhielt Gsells Arbeit mit dem Spielfilm BEYTO (2020). Der Film erzählt von einem jungen Mann mit türkisch-schweizerischem Hintergrund, der sich als homosexuell outet und dadurch in einen familiären Konflikt gerät. BEYTO feierte seine Premiere bei den Giornate degli Autori an den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und wurde international gezeigt. Der Film markiert einen wichtigen Punkt in Gsells Werk, da er ihre langjährige Auseinandersetzung mit Identität, Herkunft und Selbstbestimmung in einer klar erzählten Spielfilmform bündelt.
Kontinuität statt Bruch
Über alle Werkphasen hinweg zeigt sich bei Gitta Gsell eine thematische Kontinuität. Ihre Filme kreisen um Menschen, deren Lebensentwürfe in Spannung zu sozialen, familiären oder kulturellen Erwartungen stehen. Formal arbeitet sie zurückhaltend, beobachtend und nahe an den Figuren oder Protagonist:innen. Dabei wechselt sie selbstverständlich zwischen dokumentarischen und fiktionalen Formen, ohne diese strikt voneinander zu trennen.
Gitta Gsells Filmografie steht für eine kontinuierliche, unabhängige Arbeit innerhalb des Schweizer Films – getragen von formaler Neugier und einem beständigen Interesse an individuellen Lebensrealitäten.
Filmografie von Gitta Gsell (Auswahl)
Regie (Filme, Kurz- und Dokumentarfilme)
• GOODBYE (1981)
• A.R.T. (1984)
• IMMER DIESE EWIGKEIT (1985)
• DON’T STAND ON THE OCEAN (1987)
• CORNELIA FORSTER – KÜNSTLERIN (1990)
• PERCEPTION (1990)
• TENSION (1990)
• UMA PASSAGEM/UMGEZOGEN (1994)
• LILU IN DER TANZBAR (1995, KURZFILM)
• PROPELLERBLUME (1997)
• VIRUS-L (2000)
• LILO & FREDI (2004)
• AUGEN BLICKE N (2005)
• IRÈNE SCHWEIZER (2005)
• BÖDÄLÄ – DANCE THE RHYTHM (2010)
• KARAMBOLAGE – DIE WELT DES ARNOLD ODERMATT (2013)
• MELODY OF NOISE – WIE GERÄUSCH ZU MUSIK WIRD (2016)
• BEYTO (2020)
• CAMERA OBSCURA (2021)
• ALINE & CEM (2026, Kurzfilm
Verbindung zu BEYTO
Thematisch lässt sich ALINE & CEM in eine Linie mit Gitta Gsells Spielfilm BEYTO (2020) stellen. Auch dort stand ein junger Mensch im Mittelpunkt, dessen persönliche Lebensentscheidungen mit familiären und gesellschaftlichen Erwartungen kollidieren. In BEYTO spielte Burak Ateş die Hauptrolle des jungen Mannes Beyto, der sich als homosexuell outet und damit in Konflikt mit seiner Familie gerät. Burak Ateş hat in Interviews öffentlich davon gesprochen, dass ihm diese Rolle Ablehnung und Schwierigkeiten auch im realen Leben in Teilen seines persönlichen Umfelds eingebracht habe.
Beobachtende Erzählweise
ALINE & CEM gefällt dank seiner zurückhaltenden Erzählweise . Als Kurzfilm arbeitet er mit Verdichtung und Beobachtung statt mit erklärenden Dialogen. Herkunft, Religion und soziale Prägung werden nicht behauptet, sondern im Handeln der Figuren sichtbar gemacht. ALINE & CEM ergänzt damit Gitta Gsells filmisches Werk um eine weitere, konzentrierte Perspektive auf Beziehungen im Spannungsfeld von persönlicher Entscheidung und sozialem Umfeld.