Gisela Widmer, bekannt für ihre feinfühlige Satire und ihren scharfsinnigen Sprachwitz, hat sich mit ihrem neusten Werk in den Zenit ihres Könnens geschrieben. Max Frisch, auf dessen Stück «Biedermann und die Brandstifter» Widmers neuste Arbeit beruht, hätte wohl seine helle Freude gehabt.
Theater Luzern | Biedermanns.umgezogen
Islamdebatte
Eine Satire auf die Islamdebatte auf die Bühne zu bringen, braucht Mut. Denn kaum ein anderes Thema wurde seit der Minarettinitiative und seit Sarazzin so unversöhnlich debattiert wie die Frage, wie weit die europäischen Gesellschaften den Ansprüchen der hier lebenden Muslime entgegenkommen sollen. Genau dieser Frage geht Gisela Widmer in ihrem Stück «Biedermanns.umgezogen» nach, ein Auftragswerk des Luzerner Theaters. Das Stück erzählt die Geschichte eines linksliberalen Ehepaars, das überraschend vom Bruder des Ehemanns besucht wird. Der Bruder ist in der Zwischenzeit zum Islam konvertiert und fordert subtil aber unmissverständlich, dass die Gastgeber nach seinen Vorstellung ihr Leben umgestalten.
Nicht-benennen-Dürfen
Die Satire lehnt sich an «Biedermann und die Brandstifter» von Max Frisch an. Dass die Sprache – wie bei Frisch – nicht der Darstellung, sondern der Verstellung dient; dieses Phänomen beobachtete Widmer im Vorfeld zur Abstimmung über die Minarettinitiative. Laut den Meinungsumfragen wollten nur 43 Prozent der Befragten der Initiative zustimmen, schlussendlich waren es aber 57 Prozent. «Für dieses überraschende Resultat sorgten auch viele linke Frauen, die es nicht einmal anonym gegenüber den Meinungsforschern gewagt hatten, ihre Meinung zu äussern», ist Widmer überzeugt. Im Hause Biedermann hat dieses Nicht-benennen-Dürfen verheerende Folgen.
art-tv Reflexion
«Biedermanns.umgezogen» ist nicht nur sprachlich raffiniert umgesetzt, sondern reagiert pointiert und erst noch auf unterhaltende Weise auf ein gesellschaftlich relevantes Thema. Insofern dürfte Widmers Stück zu einem der besten Schweizer Theaterprojekte dieses Jahres gehören. Und das obwohl Regie und Dramaturgie nicht optimal auf Widmers Text reagieren. Widmers Ansatz ist universell, der Verlauf des Geschehens exemplarisch. Die Darsteller funktionieren nicht entlang der Links-Rechts-Achse sondern implodieren als Menschen: innerlich, widersprüchlich, unabhängig von Nationalität oder Wohnort. Insofern wirken das Bühnenbild, eine Silhouette der Stadt Luzern. und die Schweizer Nationalhymne, die ganz zum Schluss gesungen werden, deplaziert. Dass Widmer mit ihrem Stück nicht nur Lob ernten wird, ist vorprogrammiert. «Wer eine Satire auf die innerlinke Islamdebatte schreibt, begibt sich nicht in eine Win-Win-, sondern zwangsläufig in eine Loose-Loose-Situation, in linken Kreisen wurde und wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Islam von ungezählten Tabus verhindert.» Betroffene werden sich rächen und Widmer vorwerfen: Alles kalter Kaffee, reine Plattitüden!