«Freiflug ins Nichts – Der Regisseur Christoph Marthaler widmet sich in Basel einer alten französischen Komödie – und erfindet damit, unter der Überschrift «Das Weisse vom Ei», sein Theater neu.» Tages-Anzeiger
Theater Basel | Das Weisse vom Ei
Une île flottante
Eischnee, süsse Sahne, Vollmilch, Zucker – so lauten sie, die Zutaten für eine der traditionsreichsten Nachspeisen auf Europas Dessertkarten. Angerichtet in einem kleinen See aus Vanillesosse erscheint die weisse Masse wie ein Sinnbild für jene Kombination von Verheissung und Enttäuschung, die alle Leidenschaft im Kern zusammenhält. Eben noch formvollendetes Versprechen, erweist sich das Objekt der Begierde bereits bei der ersten Berührung als übersüsses Nichts. Und was man in ihm suchte (mehr noch: um alles in der Welt aufzufinden erhoffte!), hatte das Rezept von vornherein ausgespart: das Gelbe vom Ei. Naheliegend ist, dass auch dem französischen Schriftsteller Eugène Labiche (dessen Vater immerhin ein berühmter Sirupfabrikant war) die als Ile Flottante bekannte süsse Speise nicht ganz unbekannt war. Ihm nicht, und auch nicht den schaumweichen Charakteren seiner Komödien und Einakter, die sich zwei Jahrhunderte nach ihrer Erfindung plötzlich in Christoph Marthalers Inszenierung in bisher nie dagewesener Konstellation gegenüberstehen. Sie, die Hausherren, Ehefrauen, Diener und frisch Verlobten wirken überrascht. Schliesslich ist es noch nicht vorgekommen, dass sie sich ausserhalb der für sie geschriebenen Theaterstücke begegnen. Wie reagiert man auf eine solche Situation? Eine Möglichkeit läge auf der Hand: Eischnee, süsse Sahne, Vollmilch, Zucker – und grosse Mengen heisser Luft!