Ihre Sicht auf das frühe Wagner-Werk zeigen der katalanische Regisseur Calixto Bieito und der italienisch-spanische Dirigent Enrique Mazzola an der Staatsoper Stuttgart. Beide realisieren mit der Urfassung des „Holländer” von 1841 ihre erste Wagner-Oper.
Staatsoper Stuttgart | Der fliegende Holländer
Das Meer, die Matrosenchöre und die Ballade der Senta waren die ersten Nummern, die Richard Wagner noch unter dem Eindruck seiner Schiffsüberfahrt von Riga über Norwegen nach England als 26-Jähriger für den „Fliegenden Holländer” vertonte.
Evoziert dieser Opernstoff, die Sage des durch Gotteslästerung verdammten Holländers, der ewig die Weltmeere kreuzend auf seine Erlösung wartet, Mythos und Außenseitertum, entzaubert Bieito Ersteres und übersetzt Letzteres in ein Gesellschaftsphänomen des 21. Jahrhunderts. Ausgangspunkt bildet dabei ein (etwas ironisch-überspitzes) persönliches Erleben des Regisseurs: Durch Annullierung eines Fluges verbrachte Bieito einen ganzen Tag auf dem Zürcher Flughafen. „Ich fühlte mich wie ein ‚fliegender Katalane’, ein europäischer Geschäftsmann, der anonym und isoliert unterwegs ist.”
Für ihn sei dieser Managertyp in Nadelstreifen das heutige Sinnbild des Holländers. Bieito versetzt diese Figur in eine „europäische Hölle” – das Mitteleuropa der Manager. Der Holländer (gesungen von dem neuen Ensemblemitglied Yalun Zhang) wird zu einem geistig und räumlich heimatlos gewordenen Menschen auf der Suche nach einem Gegenüber, das ihm Lebenssinn und -halt gibt. Diese Suche erfüllt sich in Senta (Barbara Schneider-Hofstetter), der Tochter eines Geschäftsmannes. Es ist die Begegnung zweier durch das System ausgehöhlter Menschen, eine Liebe die aus Solidarität für den Anderen erwächst. Eine Gegenwelt des Wertekonservativen bildet Erik dazu, der in der Urfassung noch als Georg bezeichnet und von dem kanadischen Gasttenor Lance Ryan gesungen wird. Ryan gibt mit dieser Partie sein Rollendebüt.
Verortet wird diese Dreiecksbeziehung von Bühnenbildnerin Rebecca Ringst und Kostümbildnerin Anna Eiermann in einem auf Sand gebauten Durchgangsort, der sich in einer Architektur aus Glas und Metall widerspiegelt, mit maritimen Reminiszenzen wie einem treibenden Schlauchboot.
Deutschland Radio: “Enrique Mazzola dirigiert die Urfassung in einem Zug, mit drängendem Elan und feinem Gespür für Zwischentöne, Yalun Zhang gestaltet einen verzweifelten Holländer, und Barbara Schneider-Hofstetter singt eine hochdramatische Senta, die die spätere Wagnersche Aufbegehrende – Brünnhilde – bereits ahnen lässt.”
Fazit: Eine grandiose Aufführung ist gegenwärtig in Stuttgart zu sehen, die an der Premiere mit minutenlangem Applaus vom Publikum gefeiert wurde. Also: Auf nach Stuttgart! In knapp drei Stunden ist man von Zürich aus mit dem Zug vor Ort.