Miss Sara Sampson gilt als das erste bürgerliche Trauerspiel. Niklaus Helbling inszeniert den Klassiker am Schauspielhaus Zürich
Schauspielhaus Zürich l Miss Sara Sampson
Ein heruntergekommener Gasthof in England. Sara Sampson und Mellefont, die sich hier eingemietet haben, sind auf dem Weg nach Frankreich, wo sie sich vermählen wollen. Den Flüchtenden auf der Spur ist der sorgenvolle Vater Saras, Sir William. Und auch die ehemalige Geliebte Mellefonts mit dessen unehelichem Kind ist eingetroffen, um die Rivalin vor der geplanten Eheschliessung wieder aus dem Felde zu schlagen. Das ist, nebst einigen treuen Bediensteten, das Personal des dramatischen Zusammentreffens. Alles keine makellosen Helden wohltemperierter Zurückhaltung. Weder zeigt sich Sara Sampson in tugendhafter Unschuld noch ist Mellefont von unantastbarem Edelmut – seine Vergangenheit war den Eitelkeiten und Intrigen des Hofes gewidmet. Doch selbst Sir William hält den Verführer seiner Tochter für «mehr unglücklich als lasterhaft». Er ist gekommen, um seiner Tochter und deren Zukünftigem tränenreich Vergebung anzubieten. Mitgefühl und Verständnis sind das Gebot der Stunde. So gibt sich auch Mellefont, endgültig zu einem ehrbaren Leben an der Seite Saras entschlossen, nachgiebig, als ihn seine ehemalige Geliebte vor dem Abschied um einen letzten Gefallen bittet: dessen zukünftiger Braut gegenüberzutreten, wenn auch ohne sich zu erkennen zu geben. Ist es wirklich klug von ihm, die beiden Frauen bei ihrem tête-à-tête allein zu lassen – zumal die ehemalige Geliebte immer ein Fläschchen Gift im Gepäck führt?
«Miss Sara Sampson» ist das erste bürgerliche Trauerspiel, eine Gattung, für die Lessing das Wort «Empfindsamkeit» erschuf. Über die Uraufführung 1755 wusste ihr Autor zu berichten, dass «die Zuschauer vier Stunden wie Statüen sassen und in Thränen zerflossen».