Puccinis Thriller begeistert mit den grandiosen Debüts von Emily Magee (Tosca) und Starbariton Thomas Hampson (Scarpia), sowie dem Publikumsliebling Jonas Kaufmann als Cavaradossi. Doch leider überzeugt Carsens Inszenierung nicht.
Opernhaus Zürich | Tosca
- Publiziert am 29. März 2009
Kritik:
Es muss nicht immer TOSCA sein – war man nach den Premierenankündigungen vor einem Jahr, in leichter Abwandlung eines Buchtitels von Simmel, versucht zu sagen. Wenn man jedoch drei Weltstars ans Haus verpflichten kann, dann MUSS es TOSCA sein. Musikalisch blieben an der Premiere deshalb tatsächlich keine Wünsche offen. Emily Magee begeisterte mit einem restlos überzeugenden Rollendebüt als grosse Diva Floria Tosca, von der eifersüchtig Liebenden zur grossen Tragödin, von der humorvollen Frau (ja das gibt es auch in diesem Schauerstück) zur gekonnt mit ihren Reizen spielenden Verführerin durchschritt sie gekonnt ein breites Spektrum der weiblichen Psyche. Ergreifend sang sie ihr grosses Gebet Vissi d’arte, verloren am Bühnenrand stehend, die Stimme verzweifelt aufblühen lassend. Damit reiht sie sich erfolgreich in die Reihe der grossen Primadonnen ein, welche in den vergangenen vierzig Jahren Tosca auf der Zürcher Bühne verkörpert haben, von Antigone Sgourda über die Caballé, die Tomowa-Sintow, die Bumbry, zu Dame Gwyneth Jones und Mara Zampieri. Mit ihrem eher dunklen Timbre harmonierte Emily Magee perfekt mit dem ebenfalls dunkel gefärbten Tenor von Jonas Kaufmann. Er ist der einzige des Protagonistentrios mit Rollenerfahrung. Im ersten Akt überzeugte er mit einer wunderbaren Mittellage, kerniger, männlicher Stimme, ohne die oft so störenden tenoralen Schluchzer vieler seiner Kollegen. Das triumphale Vittoria nach der Folterszene im zweiten Akt gelang vortrefflich und das elegische E lucevan le stelle im dritten Akt gestaltete er vom zarten, fast gehauchten Piano des Beginns zum verzweifelten E muoio disperato des Schlusses mit grosser Spannung, vielleicht mit einer leichten Tendenz zum Manierismus.
Der Auftritt Scarpias im ersten Akt gleicht einem wahren coup de théâtre. Wie ein aalglatter Mephisto erscheint er plötzlich zwischen den Säulen. Thomas Hampson verfügt über einen galanten, eher weichen und vornehmen Stimmklang. Das Durchtriebene, das Perfide dieser Figur erreicht er nicht mit schwarzer, rauer Tongebung sondern er lässt das Böse im Gewand des sarkastisch lächelnden Charmeurs durchschimmern. Dadurch bekommt die Figur eine noch bedrohlichere Dimension. Dem Starbariton gelingt in seinem gefeierten Rollendebüt ein eindringliches Psychogramm des sadistischen, tyrannischen Polizeichefs.
Weniger gelungen ist die Inszenierung, die – nebenbei bemerkt – auch nichts wirklich Neues ist, sie war schon in Hamburg, Antwerpen und Barcelona zu sehen (was aber im Programmbuch nur zu erfahren ist, wenn man die Biographien ganz genau durchliest): Regisseur Robert Carson und Ausstatter Anthony Ward verlegen die bezüglich Zeit und Ort so eindeutig fixierte Handlung auf und hinter die Bühne eines Theatersaals. Das scheint auf den ersten Blick Sinn zu machen, agieren doch die Protagonisten in einem Gebilde aus Lügen, egozentrischer Selbstdarstellung und Intrigen, wie es das Klischee der Theaterwelt so gerne kolportiert. Doch in der Umgebung eines „Theaters auf dem Theater“ verpuffen die von Puccini so genial konzipierten Kontrastwirkungen vollkommen: Das Morbide des ersten Aktes, in welchem vor den Augen der Madonna geflucht, gehasst und geliebt wird, vermag seine Wirkung nur in einer kirchlichen Sphäre zu entfalten und nicht in einem nüchternen Zuschauerraum, wo die Theaterbesucher (weshalb auch immer…) ein TE DEUM anstimmen. Die friedliche Morgenstimmung mit der Hirtenidylle und dem so lautgetreu komponierten Glockengeläute zu Beginn des dritten Aktes soll als Kontrast zur darauf folgenden, grausigen Hinrichtungsszene dienen. In Zürich sieht man nur einen leeren Bretterboden. Da kann Jonas Kaufmann noch so ergreifend singen, echtes Mitgefühl stellt sich nicht ein, es ist ja alles nur Theater. Es scheint fast, man wollte allem Emotionalen aus dem Weg gehen, nur um TOSCA einmal anders als gewohnt darzubieten. Mit Ausnahme der überzeugenden Personenführung im zweiten Akt hat Zürich eine nichtssagende, stimmungs- und belanglose neue TOSCA erhalten. Schade!
So oblag es dem vorzüglich spielenden Orchester und dem Dirigenten Paolo Carignani (nach der Absage von Christoph von Dohnáhnyi kurzfristig eingesprungen), die farben- und kontrastreichen Stimmungen zu erzeugen. Ihnen und der Sängerin und den Sängern gelang eine musikalisch mitreissende Wiedergabe dieser Oper der grossen Gefühle.
Persönliche Anmerkung: TOSCA gehört zu meinen Lieblingsopern. Sie steht aber seit Jahrzehnten praktisch ununterbrochen auf dem Spielplan des Opernhauses Zürich, die letzte Neuinszenierung liegt gerade mal neun Jahre zurück. Man hätte dem Werk (vielleicht auch zur Erarbeitung einer wirklich tiefgründigen Neuinszenierung) gerne mal eine Verschnaufspause gegönnt.
Fazit:
Musikalische eine Sternstunde, die Inszenierung belanglos ärgerlich.
Inhalt:
Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.
Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.
Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.
Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Duett Tosca-Cavaradossi, Akt III
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 29. März 2009