Das Opernhaus Zürich gedenkt mit grossem Erfolg des 200. Todestages des immer noch unterschätzten Opernkomponisten Haydn. Amüsanter, herrlich erfrischender Opernabend!
Opernhaus Zürich | La fedeltà premiata
- Publiziert am 28. Februar 2009
Kritik:
Kann man eine Schäferidylle aus dem Arkadien des 18. Jahrhunderts dem heutigen, vermeintlich aufgeklärten Publikum überhaupt noch zumuten? Man kann – wie das Opernhaus Zürich und Regisseur Jens-Daniel Herzog gestern Abend augenzwinkernd und auf äusserst amüsante Art bewiesen haben. Herzog verlegt die Handlung in das Meditationszentrum eines Gurus in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das funktioniert bestens, huldigten doch die Jünger Bhagwans einem ebenso passiven Fatalismus und der Diktatur ihres Anführers wie die Hirten Arkadiens ihrem Oberpriester und den Göttern.
Schon während der Ouvertüre geraten die Sektenangehörigen (Cumaner) in verzückte Ekstase, hervorragend gespielt und gesungen von vielen Mitgliedern des Opernstudios. Überhaupt sind die Personenführung und die Kostüme von Mathis Neidhardt eine grosse Stärke dieser Inszenierung: Man denke nur an den schlaksigen Christoph Strehl als Lindoro, mit strähnigem Haar, Hornbrille und Schlaghosen, oder an die sich zuerst so altjüngferlich gebende Sandra Trattnig im roten Faltenrock als Nerina, die erst durch den sie betatschenden Guru so langsam zu einem sexuellen Wesen reift. Beide sind auch stimmlich ganz hervorragend. Das spielfreudige Ensemble lässt sich offensichtlich mit grossem Spass auf die Intentionen des Regisseurs ein und beschert den Zuschauern einen unterhaltsamen Opernabend. Carlos Chausson ist ein auch gesanglich restlos überzeugender, umwerfend komischer Melibeo (Guru). Eva Mei spielt die rach- und eifersüchtige Amaranta; in ihrer grossen Arie „Vanne…Fuggi“ erkennt man musikalisch Parallelen zu Elettra aus Mozarts IDOMENEO, eine Oper, die ziemlich zeitgleich mit Haydns Werk entstand. Auch sonst erinnert vieles an Mozarts Oper: Am Schluss haben wir einen Helden, welcher sich für das Glück der andern opfern will und eine DEA EX MACHINA, die sich versöhnt zeigt und die Liebenden zu ihrem vermeintlich besseren Leben führt. Hier ist es die Göttin Diana (hervorragend und wunderbar kräftig gesungen von Anja Schlosser), welche Regisseur Herzog als Lady Di im Jagdkostüm auftreten lässt (sicher an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, und doch hat die Idee etwas für sich). Die labilen Sektenanhänger wenden sich sehr schnell von Melibeo ab und huldigen mit einer erzwungenen Massenhochzeit der neuen Ikone. So schnell kann es gehen von der freien Liebe zu den Ketten der wieder entdeckten Biederkeit der Zweierkiste … Hauptsache man muss nicht selber denken.
Die einzige, welche sich dem Diktat der Führer ein wenig widersetzt, ist die treu liebende Celia. Martina Janková gestaltet die Partie mit hell leuchtendem, höhensicherem Sopran. Sie vermag trotzdem durch zarten, weichen Tonansatz die Schwermütigkeit dieser Figur zu durchdringen. Während des ausgelassenen Finales I zog sie sich einen Muskelriss zu, entschied sich aber – zum Glück – trotz Schmerzen weiter zu singen. So geriet ihre grosse Arie im zweiten Akt vielleicht noch mehr zu einer durch Mark und Bein gehenden, wunderschön gestalteten Klage. Zu Recht wurde sie nach „Ombra del caro bene“ stürmisch gefeiert.
Ihr Partner Javier Camarena als Fileno zeigte ebenfalls eine eindrückliche, zu Herzen gehende Leistung. Wie er im ersten Akt mit tränenersticktem Klang zu „Miseri affetti miei“ ansetzt, die Stimme dann grandios aufblühen lässt und in seiner grossen Szene als gejagtes Schwein im zweiten Akt die schmerzerfüllte Abschiedsklage gestaltet, zeugt von subtiler Gestaltungskunst. Gabriel Bermúdez ergänzt als lüsterner und doch feiger, aber auch akrobatischer Schürzenjäger Perrucchetto das exquisite Ensemble.
Bei dieser Produktion lohnt es sich sehr, auf das Orchester zu hören. Was Joseph Haydn da an Finessen und Witz eingebaut hat, ist einfach köstlich. Wenn die Musik dann noch so erfrischend dargeboten wird wie durch das Orchester der Oper Zürich unter dem Haydn Spezialisten Adam Fischer, dann ist das gleich ein doppeltes Glück. (Von Adam Fischer ist auch eine Gesamteinspielung aller 104 Sinfonien auf CD erhältlich, welche als Referenzaufnahme gilt.)
Persönliche Anmerkung: Jetzt weiss ich auch, warum ich vor 35 Jahren die Produktion dieses Werkes hier in Zürich so oft besucht habe: Es ist einfach eine erfrischende, musikalisch reizvolle Oper!
Fazit:
Durch ein spielfreudiges Ensemble witzig umgesetzte Sektenstory. Entzückende musikalische Kostbarkeiten. Die Ehrenrettung des Opernkomponisten Haydn ist vollumfänglich geglückt.
Inhalt:
Wegen eines Frevels in ihrem heiligen Tempelbezirk verlangt die Göttin Diana, dass jährlich zwei treue Liebespaare einem Ungeheur geopfert werden. Aus Angst zum treuen Liebespaar gewählt zu werden, verstellen sich die Protagonisten, gehen Beziehungen ein, die sie nicht ernst meinen, wecken Hoffnungen und bewirken Enttäuschungen. Erst als sich Fileno heldenmütig zum Opfertod bereit erklärt, um seine Geliebte Celia (Fillide) zu retten, zeigt sich die Göttin besänftigt und führt die liebenden Paare zusammen. Einzig der intrigante Priester Melibeo bleibt auf der Strecke …
Werk:
Joseph Haydn (1732 – 1809) wird oft als Vater der Sinfonie (nicht weniger als 104 Sinfonien hat er komponiert) und des Streichquartetts bezeichnet (die Melodie zur deutschen Nationalhymne entstammt seinem Kaiserquartett). Neben Messen, Oratorien und Solokonzerten hat Haydn aber auch 24 Opern hinterlassen. Obwohl ihm nicht wie Mozart (mit Lorenzo da Ponte) ein genialer Librettist zur Seite stand, erreichen Haydns Vokalkompositionen eine Meisterschaft, welche durchaus Vergleichen mit Mozarts genialen melodischen Einfällen standhält.
Die lange Zeit in verschiedenen Archiven schlummernde Partitur von LA FEDELTÀ PREMIATA konnte erst in den 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts rekonstruiert werden. Sie wurde auch in Zürich schon mit grossem Erfolg aufgeführt (1974/75 in einer Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle, u.a. mit Charlotte Berthold, Marilyn Zschau und der bezaubernden Ruth Rohner).
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre: Als Finalsatz der Sinfonie Nr. 73 „La Chasse“ berühmt geworden
Miseri affetti miei, Arie des Fileno, Akt I
Vanne…fuggi…traditore! Arie der Amaranta, Akt I
Coll’ amoroso foco, Arie des Perrucchetto, Akt I
Questi torti, questi affronti, über 800 Takte gehendes Finale Akt I
Ah come il core mi palpita…Ombra del caro bene, Szene und Arie der Celia, Akt II
Barbaro conte…Dell’amor mio fedele, Szene und Arie der Amaranta, Akt II
Quel silenzio e quelli pianti, Finale Akt II (nochmals 506 Takte!)
Ah se te vuoi, ch’io viva, Duett Celia-Fileno, Akt III
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 2. März 2009