Wiederaufnahme der wunderbar ästhetischen Installation von Robert Wilson, szenisch und musikalisch ein Ereignis!
Opernhaus Zürich | Das Rheingold
- Publiziert am 14. September 2008
Kritik:
Schon mit dem immer wieder faszinierend anzuhörenden, sich über 136 Takte steigernden Es-Dur Akkord im Vorspiel zu RHEINGOLD erreicht der junge Schweizer Dirigent Philippe Jordan eine ungeheure Transparenz und zugleich eine Sogwirkung und Spannung, die über die gesamte, pausenlose Spieldauer von über zweieinhalb Stunden nicht nachlässt. Das Orchester der Oper Zürich folgt ihm konzentriert und klangschön musizierend. Ein Genuss und ein viel versprechender Beginn am Vorabend zu Wagners Tetralogie, welche in dieser Saison (neben Einzelvorstellungen) auch viermal als Zyklus angeboten wird.
Wenn dann die Rheintöchter so herrlich langsam aus den Nebelschwaden auftauchen, die raffinierte Lichtgestaltung, die symbolträchtigen, durch klare Linien gezeichneten Kostüme und die hoch ästhetischen Bewegungen den Zuschauer in ihren Bann ziehen, steht einem inspirierenden, erfüllenden und trotz all der Langsamkeit nie lange wirkenden Abend nichts mehr im Wege. Robert Wilsons Inszenierung mit den Kostümen von Frida Parmeggiani und der Lichtgestaltung von Andreas Fuchs und Wilson selbst hat auch nach 8 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüsst.
Sämtliche Sängerinnen und Sänger zeichnen sich durch eine hervorragende Diktion und Phrasierungskunst aus, der Dirigent schafft eine perfekte Balance zwischen Orchester und Bühne. Er scheint die nicht unproblematischen akustischen Bedingungen hier am Haus bestens zu kennen.
Dass alle Rollen hervorragend mit Ensemblemitgliedern (und einem treuen Gast) besetzt werden konnten, zeichnet das Zürcher Ensemble einmal mehr aus. Egils Silins ist ein hochkarätiger Wotan, seine Autorität, seine Präsenz und die makellos geführte Stimme vermögen zu begeistern. Seiner Gemahlin Fricka (Liliana Nikiteanu) merkt man an, dass sie als „Bühnentier“ darstellerisch gerne mehr aus sich herausgehen möchte, als Wilsons Konzeption es ihr erlaubt. Deshalb verlegt sie alle Ausdrucksnuancen in die Stimme und erreicht dadurch eine faszinierende Intensität und Glaubwürdigkeit der Figur. Schon vor 8 Jahren war Loge richtigerweise mit einem Tenor besetzt, der eigentlich aus dem Belcanto Fach kam (Francisco Araiza). Diesmal hat man die dankbare Partie Reinaldo Macias anvertraut, der dieses Rollendebüt hervorragend meistert. Rolf Haustein war ein restlos überzeugender Alberich, ebenso Volker Vogel als sein Bruder Mime. Pavel Daniluk fügt mit dem Riesen Fafner die Reihe seiner eindrücklichen Basspartien fort. Ein grosses Vergnügen bereitete es, den drei Rheintöchtern von Sen Guo, Anja Schlösser und Irène Friedli zuzuhören. So herrlich reine Stimmen, so Mitleid erregend in ihrem klagenden Schlussgesang. Margaret Chalker (Freia), Cheyne Davidson (Donner) und Miroslav Christoff (Froh) komplettieren die Götterwelt, Fasolt (Andreas Hörl) wird leider trotz seiner stupenden Bassstimme von seinem Bruder Fafner beim Griff nach dem Ring erschlagen.
Das viel versprechendste Debüt des Abends beschert dem Publikum wohl das neue Ensemblemitglied Wiebke Lehmkuhl als Erda. Ihre durchdringenden Warnrufe „Weiche, Wotan, weiche …“ klingen beim Verlassen des Opernhauses noch lange nach.
Man kann sich so richtig auf die nächsten drei Ring-Abende freuen!
Fazit:
Faszinierende Inszenierung, geradezu ideale Besetzung und ein höchst spannendes Dirigat.
Ein gelungener Auftakt zu Wagners Gesamtkunstwerk!
Das Werk:
Richard Wagner beschäftigte sich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren mit dem Nibelungenstoff. Entstanden ist ein zeitloses, gigantisches Gesamtkunstwerk, mit beinahe 20 Stunden Spieldauer, welches sich über vier Abende erstreckt. Über hundert meisterhaft verarbeitete Leitmotive prägen die Partitur, welche an die Solisten und das Orchester höchste Anforderungen stellt.
Den RING DES NIBELUNGEN kann man immer wieder neu sehen und interpretieren. Er kann eine Apotheose auf das Menschentum sein, eine Kritik an der industrialisierten Gesellschaft, eine politisch-soziale Kritik, eine Entsagung im Sinne Schopenhauers; man kann darin eine Vorwegnahme von Freuds Deutung des Unbewussten erkennen oder andere tiefenpsychologische Exkurse.
Im RING geht es um Machtstreben, Machtmissbrauch, List, Betrug, Entführung, Vergewaltigung, Inzest, Verträge und deren Brüche – und um Liebe.
Wagner hat den Text im konsequent angewandten Stabreim selbst verfasst. Er benutzte als Quelle seiner Inspiration weniger das mittelalterliche Nibelungenlied, sondern griff auf ältere nordisch-germanische Sagen zurück.
Inhalt des Vorabends:
Mit einem Fluch auf die Liebe raubt der Zwerg Alberich den Rheintöchtern das Gold. Daraus lässt er sich von den Nibelungen unter der Leitung seines Bruders Mime einen Tarnhelm sowie einen Ring schmieden, der ihm unermessliche Macht bescheren wird.
Die Riesen Fafner und Fasolt haben den Göttern eine gewaltige Burg gebaut – Walhall. Als Lohn haben sie sich die Göttin Freia ausgehandelt, die ewige Jugend verspricht. Göttervater Wotan jedoch weigert sich, Freie herauszugeben. Loge, der listige Feuergott, bietet den Riesen das Gold des Nibelungen an.
Auf betrügerische Art und Weise bemächtigen sich Wotan und Loge des Goldes und des Ringes. Allerdings heftet Alberich einen fürchterlichen Fluch an den Ring, welcher jeden, der sich seiner bemächtigt, vernichten soll. Der Fluch wirkt: Fafner erschlägt bei der Teilung des Goldschatzes seinen Bruder Fasolt.
Die Erdgöttin Erda prophezeit Wotan das Ende der Götter.
Wotan – voller Sorge über die Prophezeiung – und die Götter schreiten über eine Regenbogenbrücke zur Burg.
Für art-tv: © Kaspar Sannemann, 18. September 2008