Mit INTO THE NIGHT (Chopin) zeigt das Zürcher Ballett ertmals eine berückend schöne Choreographie des grossen Jerome Robbins. Heinz Spoerli hingegen liess sich von Mahlers DAS LIED VON DER ERDE inspirieren.
Opernhaus ZH l Ballettabend
Zu den Stücken:
IN THE NIGHT Der amerikanische Choreograph Jerome Robbins (1918-1988) war lange Zeit am Broadway und für Musicalverfilmungen (z.B.THE KING AND I) tätig; er erlangte nicht nur als Co-Regisseur von Bernsteins WEST SIDE STORY Weltruhm und einen Oscar, sondern genoss auch hohes Ansehen als Ballettmeister des New York City Ballets, wo er für Balanchine mehrere eigene Kreationen aufführen durfte, so auch IN THE NIGHT. Für dieses von Balanchine in Auftrag gegebene Werk inspirierten ihn Chopins Nocturnes, diese meancholisch-schwärmerischen Preziosen der Klavierliteratur, welche sich auch an Belcanto Melodien von Rossini oder Bellini orientieren. Robbins stellt in seinem Ballett drei Paare in unterschiedlichen Stadien ihrer Beziehung auf die Bühne: Jung und frisch verliebt das erste, reifer, abgeklärter das zweite und stürmisch, ja auch streitlustig das dritte Paar.
DAS LIED VON DER ERDE Als textliche Basis und inhaltliche Inspiration benutzte Gustav Mahler Hans Bethges Sammlung chinesischer Lyrik «Die chinesische Flöte». Mahler, zur Zeit der Komposition in einer schweren persönlichen Lebenskrise, schuf mit dieser Sinfonie für Altstimme, Tenor und grosses Orchester ein ungeheuer ergreifendes Werk voller Resignation, Todesahnung und Trauer, doch immer wieder scheint auch Utopisches durch, was könnte noch möglich sein, den Durst nach dem Leben zu löschen? An den Dirigenten Bruno Walter schrieb der Komponist 1908: «Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, dass es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe.» Bruno Walter war es auch, der das Werk gut sechs Monate nach Mahlers Tod zur posthumen Uraufführung brachte.
art-tv Wertung:
Für den letzten Ballettabend der Saison hat Heinz Spoerli erstmals eine Schöpfung des grossen Amerikaners Jerome Robbins nach Zürich bringen können, wunderbar einstudiert von Christine Redpath. Und wieder spielte der Pianist Alexey Botvinov mit berückend zartem Anschlag und grossartiger Phrasierung diese verträumt-schwärmerischen Nachtstücke. Während Chopins Klaviermusik eine tänzerische Umsetzung (vor allem wenn sie so gekonnt gestaltet wird wie von Jerome Robbins) beinahe mühelos zulässt, stellt sich die Lage bei Gustav Mahlers Musik nicht ganz so problemlos dar. DAS LIED VON DER ERDE ist ein bewegendes, von Trauer und persönlicher Tragik umflortes Werk. Die sechs sinfonisch auskomponierten, manchmal rätselhaften Texte scheinen nicht gerade zum Tanz einzuladen. Der Zürcher Ballettdirektor Heinz Spoerli hat denn auch bewusst auf eine wortgetreue Darstellung der chinesischen Gedichte verzichtet, welche sowieso kein «Handlungsballett» zulassen würden. Ebenso hat er – zum Glück – nicht versucht, eine Art Mahler Biographie (vor allem seine von gesundheitlichen Problemen und persönlichen Schicksalsschlägen geprägten letzten Monate und Jahre) zu choreographieren. Entstanden ist nun eine von den Impressionen aus der musikalischen Sprache Mahlers heraus entwickelte Wanderung eines Mannes (herausragend getanzt von Vahe Martirosyan) ins Jenseits, eine Art Transformation.
Für art-tv.ch & oper aktuell: Kaspar Sannemann