Grosse Gesten und Mut zum Pathos: Ein wirklich amüsanter und kurzweiliger Ausflug in die zeitlich unterschiedliche moralische Verortung von Liebe, Wollust und gesellschaftlich akzeptierter Hingabe.
Neumarkt Theater I Miss Sara Sampson
Das Stück
Miss Sara Sampson, ein «Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen», ist fest entschlossen ihr Herz nur um ein Herz zu geben. Sie will von keiner Ehre wissen als der Ehre zu lieben. Sie hat sich über Konventionen und das Gebot des Vaters hinweggesetzt, die Liebe zum absoluten Gesetz gemacht. Und ist damit, schon vor Stückbeginn, in eine Sackgasse geraten. Denn ihre private Revolte, eine leidenschaftliche Affäre, hat sie direkt in ein elendes Wirthshaus geführt. Da sitzen sie nun, wie Gestrandete, die tugendhafte Sara und ihr flatterhafter und nicht gar so bindungswilliger Liebhaber, Mellefont. Der schiebt die Hochzeit, mit der sie sich zu rehabilitieren hofft, nach allen Regeln der Kunst auf. Wegen eines Erbes, angeblich. Und dann stehen auch noch Saras Vater und Mellefonts Ex-Geliebte, Marwood, die Mutter seines illegitimen Kindes und selbsterklärte neue Medea vor der Tür.
Gotthold Ephraim Lessing
Das 1755 erschienene und uraufgeführte Drama «Miss Sara Sampson» von Gotthold Ephraim Lessing war Schauplatz des sich formierenden Selbstbewusstseins bürgerlicher Identität. Religion, Staat, Gesetz wurden als sinnstiftendes Moment vom Privaten und Emotionalen abgelöst: Bei der Uraufführung 1755 brachen gestandene Männer in Tränen aus. Immer den Finger am eigenen Puls, nehmen Lessings Figuren sprechend die Verfolgung ihres Zustandes auf. Jede Träne wird gezählt, weil sie beweist: Ich fühle, also bin ich.
Laura Koerfer
In ihrer dritten Inszenierung am Theater Neumarkt konfrontiert Laura Koerfer Lessings gefühlsradikale Bewusstseinskörper mit der gebändigten Emotionalität, mit der bisweilen zynischen Vernunft unserer Zeit.