Heinrich Böll beschreibt in seiner Kurzgeschichte «Nicht nur zur Weihnachtszeit» den Verfall einer Familie, die an einer Abend für Abend zelebrierten Weihnachtsfeier zu Grunde geht. Die Luzerner Spielleute setzen für ihre neuste Produktion zusammen mit der Regisseurin, Schauspielerin, Theaterautorin und -pädagogin Annette Windlin die bitterböse Satire in einer Bühnenfassung der Regisseurin in ihrem Stammhaus, dem Theaterpavillon Luzern um.
Die Luzerner Spielleute spielen «Nicht nur zur Weihnachtszeit»
- Publiziert am 24. Mai 2023
Die Anfänge der Luzerner Spielleute reichen ins 15. Jahrhundert zurück. Die «Bruderschaft zur dörnig Kron», die älteste bekannte Spielgemeinschaft Europas, spielte ab 1470 alle fünf Jahre auf dem Weinmarkt die Passions- und Mysterienspiele. Nach Jahren der Vergessenheit wurde die Bruderschaft 1924 durch Dr. Oskar Eberle erneuert. Die Geistlichen Spiele Luzerns vor der Hofkirche mit über hundert Mitwirkenden wurden wieder weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Aus der Bruderschaft heraus entstanden 1934 die Luzerner Spielleute mit dem Ziel, neben dem religiösen das profane Theater zu pflegen. In den bald 90 Jahren ihres Bestehens prägten die Spielleute die freie Theaterszene in Luzern mit Freilicht-Grossproduktionen an diversen Spielorten der Stadt, aber auch mit Kammerspielen und kleineren Aufführungen. Dass die Spielleute auch heute noch «eine Zentrale sind, die kreative, kritischkonstruktive, auch ketzerisch alternative Strömungen in der Gegend registriert, einfängt, umsetzt und weiterleitet» (Marlene Schnieper, LNN 1974), zeigen die Produktionen der letzten Jahre.
Über das Stück
Milla, die liebenswerte alte Tante des Ich-Erzählers will sich nicht von ihrem Christbaum trennen und schreit ununterbrochen, als die Töchter den Baum im Neujahr abräumen wollen. Nachdem Mediziner:innen ohne Erfolg zu Rate gezogen worden waren und die Familie verzweifelt und entnervt nach einer Lösung sucht, findet endlich ein Familienmitglied den Ausweg: Man zelebriert noch einmal Weihnachten und hofft damit dem Dauerschreien von Tante Milla ein Ende zu bereiten. Die Konsequenz daraus ist, dass nun Abend für Abend Weihnachten gefeiert werden muss, immer dasselbe Ritual und Tante Milla besteht darauf, dass alle Familienmitglieder an der Feier teilnehmen. Nach Monaten werden die Abnützungserscheinungen unübersehbar. Zuerst werden die Erwachsenen des Spekulatiusknabberns überdrüssig, dann zeigen sich ganz unterschiedliche Reaktionen auf die Zwangssituation. Mit der Zeit lassen sich die Familienmitglieder an der Feier bei Tante Milla einer nach dem anderen durch arbeitslose Schauspieler:innen vertreten. Milla geht als einzige unbeschädigt aus der Dauerweihnacht hervor: Äusserlich gesund und munter, feiert sie mit dem pensionierten Geistlichen aus der Nachbarschaft und den später engagierten Schauspieler:innen.
Der Ursprung
«Nicht nur zur Weihnachtszeit» ist eine Erzählung von Heinrich Böll, die der Autor während der Zusammenkunft der Gruppe 47 auf Schloss Berlepsch Anfang November 1952 las. Sie gilt als erste Satire des Schriftstellers. Bereits im darauf folgenden Monat wurde die kleine Erzählung von Alfred Andersch herausgegeben. Nach Sendung der Hörfunkfassung noch im selben Jahr warf Pfarrer Hans-Werner von Meyenn dem Autor Böll «Verunglimpfung des deutschen Gemüts» vor. Der Ich-Erzähler exemplifiziert den Ernstfall: Was wäre, wenn jeden Abend Weihnachten wäre? unter Bezug auf die ausgebliebene Aufarbeitung der NS-Zeit speziell im Katholizismus. (Text: Wikipedia.de)