In welchem Verhältnis stehen Eigen- und Gemeinsinn heute? Wie muss Letzterer im digitalen Zeitalter neu gedacht werden, wie ist er in virtuellen Communities, Crowds und Massen möglich? Und was bedeuten die digitalen Möglichkeiten für den «Gemeinsinn offline»? Fragen, die wie jedes Jahr mit Gästen aus den verschiedenen Disziplinen diskutiert und erlebbar gemacht wurden. Einer davon war der international erfolgreiche Choreograf und Tänzer Martin Schläpfer.
Kulturlandsgemeinde 2019 | Gemeinsinn in digitalen Zeiten
- Publiziert am 26. März 2019
Was hält die Gesellschaft heute und in Zukunft zusammen? Das zweitägige, interdisziplinäre Festival suchte angeregt nach Antworten.
Gesangsverein oder doch lieber Community Chat?
Seit rund 200 Jahren gibt es in der Schweiz in verschiedenen Regionen Gemeinnützige Gesellschaften. Bis heute verfolgen sie den Zweck, das Gemeinwohl zu stärken. Die Geschichte dieser wichtigen zivilgesellschaftlichen Organisationen wirft die Frage auf, wo Gemeinsinn heute erlebt wird, wann viele mehr bewegen können als einzelne und welche Träume für das Gemeinwohl der Zukunft bestehen. Im und rund um das Zeughaus Teufen, einem Ort für das gemeinsame Entwickeln und Experimentieren, ergründet die Kulturlandsgemeinde 2019, wo heute Gemeinsinn gelebt wird – im lokalen Musikverein, im virtuellen Community Chat oder an den Grenzen Europas? Sie fragt, wann viele gemeinsam mächtiger sind, mehr wissen oder alles in Bewegung bringen können – im Bienenstock, für die weltweite Enzyklopädie oder gegen den Klimawandel? Und sie schafft Begegnungen mit Menschen, die mit Modellen für das zukünftige Wohnen, Arbeiten oder Kulturfördern experimentieren.
Gemeinsinn in einer individualisierten, digitalisierten und zukunftsgerichteten Gesellschaft
Die Diskussionsplattformen am Samstag widmeten sich drei Spannungsfeldern rund um den Gemeinsinn und führten verschiedene Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Im Gespräch der Aktivistin Sonia Bischoff, dem Künstler Florian Graf und dem Unternehmer Hans-Dietrich Reckhaus ging es um das Abwägen zwischen eigenen und gesellschaftlichen Zielen und Dringlichkeiten. Der Mitgründer der Crowdfunding-Plattform wemakeit Johannes Gees, die Wikipedianerin Muriel Staub und der klimastreikende Kantischüler Dominic Tobler tauschten sich darüber aus, wie sich der Gemeinsinn mittels digitaler Infrastrukturen verändert. Und die Kollaborationsexpertin Nadja Schnetzler, die Filmemacherin Rebecca Panian sowie die Landschaftsarchitektin Vedrana Žalac diskutierten die Versprechen und Hürden visionärer Modelle für das gemeinsame Arbeiten, Wohnen und Wirtschaften. Zum Auftakt aller drei Gesprächsrunden lotete der Kabarettist, Schauspieler und Musiker Nils Althaus uneigennütziges Handeln aus.
Sinn für Baustellen?!
Neben den Gesprächsrunden schafften Werkstätten und Kunstinterventionen Raum für Experimente, Erfahrungen und den Austausch. Matthias Flückiger erforschte Mass und Motivation des (un-)eigennützigen Handelns der Besucherinnen und Besucher der Kulturlandsgemeinde, Niki Wiese & Fam. luden in einen Möglichkeitsraum für Gemeinsinniges und Anna Graber entwickelte im Café des Visions ein künstlerisches Manifest für den öffentlichen Raum. Im Bläserklassen-Crashkurs bei Marco Weber, im Wikipedia-Workshop bei Diego Hättenschwiler und Muriel Staub oder im Austausch mit den Freiwilligen von aid hoc, einem Verein, der flüchtende Menschen in Nordgriechenland unterstützt, wurde das Potenzial des Zusammenspielens und -handelns erfahrbar. Unter Anleitung von Emanuel Hörler entstanden Wildbienen-Hotels, Eliane Blumer und Stephan Graf trugen das Wissen aller Anwesenden zu ausgewählten Fotografien aus Ausserrhoder Gedächtnisinstitutionen zusammen und Thomas Stricker berichtete, wie die soziale Skulptur «handcherom/on the other hand», entwickelt an der Kulturlandsgemeinde 2017, zwischen dem Appenzellerland und Kalkfeld (Namibia) gewachsen ist. Im Kiosk von Pascale Osterwalder entstanden Aufkleber und Buttons derjenigen Dinge, die geteilt oder ausgeliehen werden könnten, und Anna Dietsche und Alea Duden begleiteten beim fantasievollen Bauen.
Late Night Show, Le déjeuner und Sonntagsgespräch
Schwarzer Humor, utopische Momente und #DeepDiversity versprachen Ugur Gültekin und Fatima Moumouni für den Samstagabend und die INES Late Night Show: In Performances, Politinputs und musikalischen Beiträgen erfandet die Show zusammen mit dem Publikum eine neue Öffentlichkeit mit Migrationsvordergrund. Am Sonntagmorgen präsentiert die Künstlerin Sonja Hugentobler ihr Werk, das während zweier Monate im offenen Atelier entstand. Und nach der Verlesung der Sendschrift, dem Markenzeichen der Kulturlandsgemeinde, erzählte der internationale Choreograf und Tänzer sowie Gewinner zahlreicher Preise, Martin Schläpfer, im Sonntagsgespräch von der Magie des Tanzes und dem immer ausdrucksvollen wie auch feinen Zusammenspiel der tanzenden Künstlerinnen und Künstler.