Wo gibt es Raum für selbstgefährdende Forschungsprozesse, innere Reisen, bei denen wir nichts von dem finden, wonach wir suchen? Das Kolloquium «Warburgs Passage» versteht sich als eine Einladung an die verschiedensten Sprachen und Sprechformen, zusammen in See zu stechen und zu fragen: Sind Sanatorien, Psychiatrien und Künstlerhäuser nicht auch Häuser der Gastfreundschaft, offen für unvordenkliche Empfindungen und Prozesse, die in uns geschehen, die aber nicht wir sind?
Fundation Nairs Diskursiv | Kolloquium – Warburgs Passage
- Publiziert am 5. August 2022
«Es ist höchste Zeit, dass das Denken wieder das wird, was es in Wirklichkeit ist: gefährlich für den Denker.» – Jean-Luc Godard
Teilnehmer:innen
Emmanuel Alloa
Philosoph (Aby Warburg Wissenschaftspreis 2019), Prof. für Ästhetik und Kunstphilosophie der Universität Fribourg
Daniel Binswanger
Journalist, Philosoph, Redakteur der Republik
Elke aus dem Moore
Direktorin der Akademie Schloss Solitude Stuttgart, Kunstwissenschafterin, Kuratorin
Martin Dornberg
Psychosomatiker und Philosoph
Axel Heil
Künstler, Autor, Professor für Experimentelle Transferverfahren, Kunstakademie Karlsruhe Forschungsgruppe Mnemosyne, Hamburg
Alexander Kluge
Schriftsteller, Filmemacher
Friederike Kretzen
Schriftstellerin
Michel Mettler
Dramaturg, Musiker und Schriftsteller
Karen Michels
Kunsthistorikerin & Privatdozentin Universität Hamburg
Roberto Ohrt
Autor, Kurator, 8. Salon und Forschungsgruppe Mnemosyne, Hamburg
Christof Rösch
Co-Direktor, Kunst/AiR/Bau, Fundaziun Nairs
Thomas Röske
Leiter der Sammlung Prinzhorn der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg
Rüdiger Safranski
Philosoph
Andreas Schwab
Historiker und Autor
Cornelia Schwab
Co-Direktorin, Finanzen/Strategie/Programm, Fundaziun Nairs
Janneke van der Putten
Performancekünstlerin
Sigrid Weigel
Kulturwissenschafterin; u.a. ehemalige Direktorin des Leibniz-Zentrums für Literatur, em. Prof. technische Universität Berlin
Luke Wilkins
Schriftsteller, Musiker
Gerhard Wolf
Direktor am Kunsthistorischen Institut des Max-Planck-Instituts (Florenz); Experte für Kunst- und Architekturgeschichte
Stefan Zweifel
Übersetzer und Journalist
Aby Warburg
Als geradezu paradigmatisch für die Wechselwirkung von Zusammenbruch und Durchbruch kann das Forscherleben des Kunsthistorikers und Kulturanthropologen Aby Warburg gelten. Nicht lang vor der Wende zum 20. Jahrhundert geboren, erforschte er die kulturellen Fundamente Europas und erlitt kurz nach dem Ersten Weltkrieg einen Nervenzusammenbruch, mit dem er in die schweizerische Klinik Bellevue eingeliefert wurde. Nach Jahren der Krankheit und einer geheimnisvollen Verwandlung, entkam er der Psychiatrie wieder, im Gepäck den Entwurf einer radikal neuen Bildtheorie.
Das Schlangenritual
Am 21. April 1923 hält Aby Warburg in der Klinik «Bellevue» seinen Vortrag über das «Schlangenritual» der Hopi Indianer. Ein Vortrag, der ihm selbst zum Schlangenritual gerät, um sich und der geladenen Zuhörerschaft aus Patienten und Ärzten zu beweisen, dass er «in die Normalität beurlaubt» werden kann. Nach dreieinhalb Jahren Aufenthalt in der Klinik hat er den Entwurf einer radikal neuen Bildtheorie im Gepäck. Sie bildet eine der Grundlagen für seinen Mnemosyne-Atlas, jenes transitorische Tafelwerk, das in der Zwischenzeit zu einem Mythos der modernen Kunstwissenschaft und zum Basisprogramm der Bildwissenschaft avanciert ist.
Warburg, Woolf, Žižek
Warburgs Passage ist uns Anlass, darüber nachzudenken, wie wir uns schöpferische Prozesse vorstellen können. Welcher Räume, Zeiten, Aufmerksamkeiten sie bedürfen. Virginia Woolf, genaueste Kennerin solch selbstgefährdender Verfahren, sagt, dass es Gegenden im menschlichen Herzen gibt, in die erst der Schmerz eintreten muss, damit sie existieren. Gegenden, von denen Slavoj Žižek sagt, dass uns aus ihnen Freiheit zuwachsen könne. Und zwar nur aus ihnen.