Erwachsenwerden während Corona
Die Autorin Claudia Joller gibt Einblicke in ihre Schreibweise und spricht über ihr Romanmanuskript, das sie zu einer der drei Preisträgerinnen machte
In «Corona-Winter» beschreibt Claudia Joller den Weg der siebzehnjährigen Anna aus ihrer Familie ins Erwachsenleben. Anna, deren Bruder an Drogen gestorben ist, flüchtet vor der dementen Mutter und einem unzugänglichen Vater mit ihrem Lieblingshasen über die Grenze nach Deutschland. In einem Hotel im Schwarzwald lernt sie Frank, einen Nachfahren von Naziopfern, kennen und verliebt sich in ihn.
Zentralschweizer Literaturpreis 2022
Die Ausschreibung der Zentralschweizer Literaturförderung 2021/2022 stiess auf ein breites Echo. Wiederum wurden mehr als 50 Bewerbungen eingereicht, gut ein Drittel davon waren Debüts. Die fünfköpfige Jury zeichnet drei der anonym eingegangenen Texte aus: Alice Schmid (Romoos, LU) erhält einen Werkbeitrag von 25.000 Franken, Anja Nora Schulthess (Luzern, LU) einen weiteren von 15.000 Franken sowie Claudia Joller (geb.1971, wohnhaft in Urnäsch/früher Stans) einen von 10 000 Franken. Die Literaturförderung wird alle zwei Jahre von den sechs Zentralschweizer Kantonen gemeinsam ausgeschrieben. Die Jury stand unter der Leitung von Judith Kaufmann (Verlegerin). Ihr gehörten ausserdem an: Martin R. Dean (Autor), Daniela Koch (Verlegerin), Hanspeter Müller-Drossaart (Autor/Schauspieler) sowie Esther Schneider (Literatur-Journalistin).
Die hängende Säge
Der Text von Alice Schmid (geb. 1951, wohnhaft in Romoos) erzählt von der Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses, das sich poetisch in seinem Titel «Die hängende Säge» umgesetzt findet. Überzeugt hat die wohlüberlegte Bauart, dank der sich kurze Rückblenden organisch einbetten, wesentliche Fakten unangestrengt miterzählt werden und gleichzeitig das Geheimnis bewahrt bleibt: Der Dialog mit der:dem Leser:in kann stattfinden. Im Ton eigen und frisch, breitet sich eine atmosphärische Erzählung aus, die inhaltlich Substanz vorweist und mit schönen, starken Bildern besticht.
Rückzug
Das Romanprojekt mit dem Arbeitstitel «Rückzug» von Anja Nora Schulthess (geb. 1988, wohnhaft in Luzern) erzählt die Geschichte des Liebespaares Ada und K. Die beiden besuchen in ihren ersten gemeinsamen Ferien eine Freundin von K. in einem abgelegenen Bergdorf. Die Geschichte mit kurzen Rückblenden wird konsequent aus Sicht der etwa 30jährigen Ada erzählt. Der Jury gefiel der ironisch-witzige Tonfall des Textes, den man als Gesellschaftsroman aber auch als moderne Liebesgeschichte lesen kann. Das Paar, die beiden kennen sich erst seit kurzer Zeit, weiss nicht so recht, ob es überhaupt ein Liebespaar sein will. Damit beschreibt die Autorin das Lebensgefühl von urbanen jungen Erwachsenen, die alles in Zweifel ziehen und sich nicht festlegen wollen. Umwerfend sind die Szenen, in denen sich das Paar – hauptsächlich durch Sex – kennenlernt und missversteht. Das ist witzig und erfrischend, weil der Ton auch in intimsten Momenten unromantisch pragmatisch bleibt. Die Figuren sind einfallsreich gezeichnet. Überzeugt hat die Jury vor allem die Psychologie der Erzählerin Ada. Mit schonungsloser, sarkastischer Strenge blickt sie auf ihr Leben und die Beziehung zu K. Obwohl sie dabei viel von sich preisgibt, bleibt sie als Erzählerin geheimnisvoll.