Zum Auftakt des Ausstellungsjahres zeigt das Zentrum Paul Klee die erste umfassende Retrospektive in der Schweiz zum facettenreichen Œuvre von Gabriele Münter (1877–1962), Mitbegründerin des Blauen Reiter und bedeutende Künstlerin des deutschen Expressionismus. Neben Gemälden, Drucken und Zeichnungen wird auch ein Teil ihres umfassenden fotografischen Werks zu sehen sein.
Zentrum Paul Klee | Gabriele Münter. Pionierin der Moderne
- Publiziert am 11. Januar 2022
Verkannte Pionierin
Als Mitbegründerin der legendären Künstlergruppe Der Blaue Reiter zählt Gabriele Münter zu den bedeutendsten Künstlerinnen des deutschen Expressionismus und gilt als Wegbereiterin der modernen Kunst. In einer von Männern dominierten Berufswelt hat sie über sechs Jahrzehnte ein äussert vielseitiges Werk geschaffen und eine eigenständige kraftvolle Bildsprache entwickelt. Wie viele ihrer Zeitgenossinnen blieb Gabriele Münter in der Kunstgeschichte lange Zeit unbeachtet. Selbst im fortschrittlichen Kreis um den Blauen Reiter, für den Münter wichtige Anregungen beisteuerte und massgebliche redaktionelle Arbeit leistete, wurden Künstlerinnen von theoretischen Gesprächen ausgeschlossen, da ihnen nicht die gleichen intellektuellen und schöpferischen Fähigkeiten zugetraut wurden wie ihren männlichen Mitstreitern. In der einschlägigen Literatur ist daher immer von Wassily Kandinsky und Franz Marc als Hauptpersonen des Blauen Reiter die Rede. Münters Anteil an der Redaktion des Almanachs Der Blaue Reiter wird mehrheitlich ausgeblendet und die Qualität ihres Werkes vorwiegend auf die gemeinsamen Jahre mit Kandinsky reduziert.
Zur Ausstellung
Die umfassende Retrospektive im Zentrum Paul Klee will diese Sichtweise korrigieren und zeigt Gabriele Münter nicht nur als wichtige Protagonistin der Avantgarde, sondern als enorm vielseitige, eigenwillige und experimentierfreudige Künstlerin. Der thematische Aufbau veranschaulicht eindrücklich Münters künstlerische Entwicklung, die Motive, die sie zeitlebens interessierten und die Art und Weise, wie sie sie in verschiedenen Phasen ihres Schaffens umsetzte. Die Exponate reichen von frühen Fotografien und spätimpressionistischen Ölskizzen über die leuchtenden expressionistischen Gemälde bis zu Linolschnitten und Zeichnungen.
Zeitlose Motive und ausdrucksstarke Bildsprache
Rund 1200 fotografische Objekte dokumentieren Münters frühe Reisen, darunter diejenige der erst 21-Jährigen nach Amerika (1898 bis 1900), ihre Reise nach Tunesien gemeinsam mit Wassily Kandinsky von 1904 bis 1905 sowie ihre Aufenthalte in Frankreich ab 1906. Bereits in diesen Bildkompositionen zeigen sich Kernthemen, die Münter während ihres gesamten künstlerischen Schaffens begleiten werden. Es handelt sich dabei um zeitlose und naheliegende Motive wie Menschen, Architektur und Landschaft, aber auch aktuelle Themen wie Technik und Maschinen. Auf ihrer Amerika-Reise dokumentierte Münter unter anderem ihre Verwandten, deren Wohnhäuser und Arbeitsplätze sowie Schiffe, Dampfzüge und eine Achterbahn. In zahlreichen Landschaftsaufnahmen werden ihr Interesse am Spiel mit Distanz und Perspektive und ihr Wille zur bewussten Anordnung von Objekten im Bildraum deutlich. Auf der Reise nach Tunesien hielt sie in Fotografien, Zeichnungen und Ölskizzen neben touristischen Motiven die geometrischen Strukturen der Gebäude, Fenster, Torbögen und Ornamente fest. Bereits hier erkennt man die für Münters Werk charakteristische Bildstruktur: eine Bildgliederung durch einfache Linien und Flächen.
Am Puls der Zeit
Münters Stil wandelte sich von anfänglich impressionistisch geprägten gespachtelten Ölskizzen zu expressionistischen Ausdrucksweisen, die sie vor allem ab 1909 in Murnau und im Zusammenhang mit dem Blauen Reiter vertiefte. Ab 1935 beschäftigte sich Münter in einer Serie von Gemälden erneut mit der Umgebung von Murnau, wobei sich ihr Blick zunehmend von der Natur auf die moderne Technik verschob. Ihre Bildsprache verlor ihren expressionistischen Charakter und die Farbgebung und Darstellung wurden naturalistischer. Eine besondere Werkgruppe bilden die 1906/07 in Paris entstandenen druckgrafischen Arbeiten, die mit klaren reduzierten Linien und frischen Farben eine überraschend moderne Bildsprache offenbaren und heute an Werke der Pop Art erinnern. In späteren Porträts, vor allem in den Zeichnungen der 1920er-Jahre, häufen sich Darstellungen von schreibenden, lesenden, sinnierenden und rauchenden Frauen alles Tätigkeiten, die damals ausschliesslich Männern zugeschrieben wurden. Gabriele Münter bewegte sich also nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich immer am Puls der Zeit und darüber hinaus.
Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee bietet die Möglichkeit, erstmals umfassend in das auch heute noch aktuelle Werk einer der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts einzutauchen. Die Ausstellung wird von einem-reichhaltigen Rahmenprogramm begleitet. In drei Gesprächen mit Expert*innen in der Ausstellung sowie einer interaktiven Ausstellung im Kindermuseum Creaviva.
Text: Zentrum Paul Klee